Amtswechsel auf der Feenburg
Feenburg, 01. Praios 1042 BF
Ein weiteres Mal hatte er die Namenlosen Tage überstanden und einen weiteren Götterlauf verlebt. Er lebte, führte ein erfülltes Leben und doch konnte er nicht abstreiten langsam aber sicher alt zu werden, nein er war alt. Bereits kurz nach Tagesanbruch hatte ihn seine Blase geweckt. Schon seit dem letzten Winter bereitete sie ihm zunehmend Beschwerden, drückte früher als in seiner Jugend und hielt darüber hinaus auch noch schlechter das Wasser. Das Alter, es war furchtbar! Die Götter seien gepriesen, er hatte seine Kinder aufwachsen gesehen, sah seine Enkel erwachsen werden und hatte erleben dürfen wie wieder Frieden in Darpatien Einzug hielt. Doch das Alter rächte sich, auf die eine oder andere Weise. Morgens schmerzten ihm die müden Knochen und seine Gelenke waren oft noch Steif, während er abends im Kerzenschein kaum noch zu lesen vermochte.
An diesem Morgen hatte er deshalb einen Entschluss gefasst. Er, Mainulf von Firunslicht, würde die Markgräfin ersuchen sein Amt als Landvogt der Mark Rommilys niederlegen zu dürfen. Es war Zeit das ein Jüngerer diese Bürde übernahm, es war an der Zeit das er diese Bürde ablegte. Noch heute würde er sich auf den Weg zu Swantje machen und ihr seinen Wunsch mitteilen. Soeben waren einige Bedienstete dabei seine Sachen zu packen und seine Kutsche zur Abfahrt bereit zu machen. Er hatte also noch etwas Zeit. Es würde nicht das letzte Mal sein das er auf der Feenburg weilte, aber dennoch hatte sich eine Abschiedsstimmung seiner bemächtigt. Von seinem Arbeitszimmer aus trat er auf einen Balkon und blickte auf den Hof hinab. Die Strahlen der Praiosscheibe brachen sich funkelnd in der goldenen Ganz, die die Spitze der Burgkapelle zierte. An die Kapelle heran führten schmale Wege, vorbei an einem See und mitten durch eine grüne Oase. Bäume und Büsche spendeten Schatten, ganz so als würde man einen gemütlichen Ausritt im Wald unternehmen. Das tatsächlich Wild innerhalb der Burg lebte, erstaunte Mainulf auch noch heute. Zurück im Palas schritt der Landvogt Gänge, behangen mit schönsten Gemälden und Wandteppichen ab. Viele von ihnen hatte er selten auch nur eines Blickes gewürdigt, nur anfänglich hatte er sie noch wahrgenommen und dabei zeigten sie so schöne Motive. Fast wehmütig durchschritt er den Großen Rittersaal, ließ seine Hand über die lange Tafel streifen. Ging vorbei an den Wappen der Ritter, Edlen, Junker und ihrer Lehen, bis zu seinem Platz. Seit an Seit hatte eine gute Seele dort einst das Wappen des Hauses Fiunslicht, neben das der Mark Rommilys gemalt. Wehmütig strichen seine alten Finger über die Wappen, wohl wissend, dass es bald schon von frischer Farbe überdeckt sein würde.
Pflichtgetreu suchte Gänsebrecht, der alte und langjährige Kämmerer, seinen Herrn nur wenige Minuten nachdem das Gepäck vollständig verladen wurde auf und informierte ihn darüber, dass sämtliche Vorbereitungen abgeschlossen waren. „Danke mein Lieber, warte bitte an der Kutsche auf mich.“ Entließ Mainulf den ebenfalls betagten Diener. Dem Diktat seiner vermaledeiten Blase folgend suchte er ein weiteres Mal den Abort auf und verließ mit einem letzten, langen Blick in die Empfangshalle den Palas der Feenburg. Direkt vor dem Portal wartete, wie angekündigt, seine Kutsche auf ihn. Ein Tritt machte dem alten Landvogt das Einsteigen leichter, ehe kurz darauf Gänsebrecht die Tür von innen zu zog, sich Mainulf gegenüber niederließ und die Kutsche mit knallender Peitsche losfuhr.
Hohenstein, Anfang Praios 1042 BF
Swantje von Rabenmund und ihr Gemahl hatten soeben ihren Übungskampf beendet. Morgen würden sie in Rommilys einziehen, wo sich der Adel der Mark versammelt hatte. Die Zeit des Adelsrates war stets fordernd und von langen Tagen geprägt. Es war zu einer Art Ritual der beiden geworden, sich zuvor in einem Kampf zu messen.
Die Burgvögtin des Hohenstein, Dythlinde von Birkenloh, hatte abseits gewartet und trat nun heran, da sich beide auf den Weg zum Pallas machten. „Mainulf von Firunslicht ist eingetroffen.“ Der gestandene Landvogt gehörte zu einem erwählten Kreis, der auch kurzfristig bei der Markgräfin vorsprechen durfte. Und wie die meisten Frauen und Männer, die diese Gunst besaßen, nutzten sie diese nur äußerst selten. Swantje blickte kurz zu Geldor an ihrer Seite. „Der alte Sturmfels hatte schon angedeutet, dass er womöglich bald vorsprechen würde.“ Sie hatte eine Ahnung, was er wollte. „Gut, in einem halben Stundenmaß in der Bibliothek.“
Bald darauf betrat Mainulf die Bibliothek des Hohenstein. Generationen des Hauses Rabenmund hatten sie mit den verschiedensten Werken gefüllt. Sie diente der Markgräfin als bevorzugtes Arbeitszimmer, wenn sie auf dem Hohenstein weilte. Neben ihrem Schreibtisch stehend winkte die Markgräfin den Firunslicht heran. Sie trug die schlichte Tracht einer Junkerin. Außer ihr war nur ihre enge Freundin Linai von Halberg-Kyndoch zugegen, die Stadtvögtin von Rommilys. „Firunslicht, es freut uns, Euch zu sehen. Wir hoffen, Ihr hattet eine gute Reise.“
Wäre der alte Firunslichter noch jünger gewesen, hätte er den Weg zum Hohenstein auf dem Rücken seines Pferdes wesentlich schneller zurückgelegt, aber mit dem Alter war auch die Bequemlichkeit gekommen. So war er anstatt, querfeldein um die Wälder des fürstlichen Jagdsitzes Dommel, mit der Kutsche über die Neue Silberstraße, der Straße von Ebnet am fürstlichen Gestüt Wolfsecker vorbei an die Reichsstraße und weiter zur Feste Hohenstein gefolgt. Fast dreimal so lang war der Weg dadurch geworden, aber Mainulf sah keinen Anlass zur Beschwerde. „Danke der Nachfrage Eure Erlaucht. Die Straßen um Rommilys sind gut in einem guten Zustand und so hatte meine Kutsche keinerlei Schwierigkeiten.“ Auch wenn dieser Aussage durchaus ein gewisses Eigenlob entnommen werden konnte, so zeigte der Landvogt keinerlei Anzeichen das dies seine Absicht gewesen wäre.
„Setzt Euch doch“, sie deutete auf den gepolsterten Stuhl vor dem Tisch und setzte sich selbst. „Was ist es, was Euch noch vor dem Rat den Weg zum Hohenstein antreten lässt?“
Dankend ließ sich der alte Vasall gegenüber der Markgräfin auf einem bequemen Sessel nieder. Seine Weste glattziehend, setzte er sich grade hin und faltete anschließend seine Hände auf der linken Armlehne ineinander. „Wie Eure Erlaucht sicherlich wissen, bin ich ein alter Mann. Eine Tatsache der zurückliegende Jahreswechsel nur zu deutlich vor Augen geführt hat. Auch wenn mein Geist weiterhin willig sein mag, so muss ich Euch leider sagen, dass mein Leib zu schwach ist, um Euch auch künftig als Landvogt zu dienen. Auch wenn der Adelsrat unmittelbar bevorsteht, wollte ich Euch dort nicht mit einem Ersuchen überraschen. Vielmehr denke ich das dies eine gute Gelegenheit darstellt um mögliche Kandidaten auf ihre Eignung zu überprüfen, eh ich, natürlich mit Eurem Einverständnis, zum Ende hin meinen Entschluss publik machen.“
Die Markgräfin musterte Mainulf. Welch grausamer Gegner das Alter doch war, der einen jeden anderes traf. Der treue Gefolgsmann gehört für sie zu Rommilyser Mark, nein zu Darpatien, seitdem sie denken konnte. „Firunslicht, Euer Pflichtbewusstsein ehrt Euch einmal mehr. Uns kommen viele Gründe in den Sinn, Euch von Eurem Wunsch abzubringen. Allein, es würde uns wundern, ließet Ihr Euch umstimmen. Einmal entschlossen gleicht Ihr dem Felsen in der Brandung.“
Ein wenig verlegen ob derart viel Lob, zumal aus dem Mund der Markgräfin, konnte der alte Recke nicht verhindern ein wenig rot zu werden. „Erlaucht, Ihr schmeichelt mir zu sehr. Ich bin nichts weiter als ein bescheidener Diener.“
„Ihr habt uns, habt Darpatien und nicht zuletzt meinem Haus stets in Treue zur Seite gestanden. Ihr gehört zu denen, die unsagbar vieles erdulden mussten, um uns und unserer Generationen den Weg für eine bessere Zukunft zu bereiten. Wenn dies Euer Wunsch ist, dann soll es so geschehen und Euch soll es an nichts fehlen.“ Swantjes Rechte fuhr nachdenklich über ihr Kinn. „Um einen letzten Gefallen wollen wir Euch jedoch bitten. Wir wollen auf dem Rat unserer Barone im Firun Euren Nachfolger bestellen. Steht uns mit Eurem Rat bei, wenn es gilt die rechte Frau oder den rechten Mann für das Amt des Landvogts zu finden.“
In der Tat hatte Mainulf vieles in seinem Leben erdulden müssen. Er hatte so vieles ertragen, erlebt und überlebt! Er hatte über Götterläufe hinweg um die Freiheit Darpatiens gekämpft und es grämte ihn noch heute das das einst stolze Fürstentum, seine Heimat, aufgelöst worden ist. Auf seine alten Tage würde er nichts lieber sehen, als das Swantje endlich ihr Erbe als Fürstin antrat. „Nur weil ich Euch nicht länger als Landvogt dienen kann, so scheide ich dennoch nicht aus Euren Diensten, Eure Erlaucht. Nur zu gern komme ich Eurer Bitte nach, ebenso wie ich Euch, der Rommilyser Mark und, so fern ich den glücklichen Tag noch erleben sollte, Darpatien auch weiterhin zu Diensten sein werde.“
Swantje erhob sich bei den Worten des Firunslicht und umrundete den Tisch. „Eure Treue ehrt uns.“ Die Markgräfin bot ihm den Schwertarm zum ritterlichen Gruß und zog ihn zu einer kurzen Umarmung heran, als er ihr seinen Arm zum Gruß reichte. „Ich verspreche Euch, wir werden alles tun, damit unser Haus einst wieder auf dem Fürstenthron sitzen wird.“