6. Kapitel

6. Kapitel

 

Das Unheiligtum

 

Am nächsten Tag saß Jodokus wieder in seinem kleinen Kontor in der Svelinjagasse und ging ein paar Geschäftszahlen durch: Eher um sich etwas von den Vorfällen der letzten Zeit abzulenken, als wirklich Bilanz zu ziehen. Es hatte abgekühlt, nach ein paar schönen Tagen. Draußen stand noch immer dichter Nebel in den Gassen von Rommilys. Fast schon herrschte heimelige Atmosphäre in der Villa.

Kerzen flackerten, während der junge Patrizier "Haben" und "Soll" prüfte. Gut, dass Irmelinde nicht da war, die würde ihn tadeln für die Verschwendung von gutem Bienenwachs (und die Schädigung seiner Sehkraft). Bienenwachs...Versonnen knetete der junge Baernfarn an der Kerze herum, ohne auf die heißen Wachstropfen zu achten, und dachte an Haldana.

Das Mädchen aus der Sichel wäre wahrlich eine unstandesgemäße Beziehung - selbst wenn sie jemals ernsthaft auf sein Liebeswerben eingehen würde. Vor allem eine wenig lukrative Liaison. Die Zahlen, die da vor ihm auf dem Tisch lagen, waren zwar nicht gerade katastrophal, einen dramatischen Gewinn-Einbruch konnte sich aber weder das Handelshaus Romerzi noch das Brauhaus leisten. Den würde es für die Brauerei geben, falls das geplante Giftattentat auf die Bierfässer ruchbar werden würde.

Meister Krummbacher hatte sich erst einmal krank gemeldet. Streng genommen konnte er ihn nicht einmal hinauswerfen, ohne dass die Miteigner Fragen stellen würden. Derzeit übernahm Tiro der Mälzer seine Aufgaben: Sicher einer der erfahrensten Handwerker der Brauerei. Aber dennoch nur eine Notlösung.

Sein Blick ging zum Dukatenbeutel mit dem Bärenwappen, der für so viel Aufregung gesorgt hatte. Irmelinde hatte in Erfahrung gebracht, dass Raberto und Marike vor zwei Stunden aus der Wachstube abgeholt und in den Palast gebracht worden waren, an den Hof der Markgräfin. Vermutlich in die Obhut ihrer Kanzlerin, Beergard. Erlaucht Svantje reiste gerade wieder mal durch die Märkischen Lande. Offenbar warf man der "Maraske" vor, den Aufruhr im Katzloch angezettelt zu haben, bei dem auch Markgräfliche Gardisten angegriffen worden waren. Darauf gab es laut Stadtgarde zwar keine Hinweise, aber das Vorgehen der Aldeburger war raffiniert: Vermutlich wollte Beergard auf diese Weise herausfinden, was da in der Stadt gerade vor sich ging. Typisch Rommilyser Kompetenzgerangel - aber auch das konnte gefährlich werden. Irmelindes Einfluss bei Hofe war überschaubar, wo man eher Trollzacker Rotwein als Rommilyser Gerstensaft trank. Ihn, den jungen Adeligen, hatte sie auch deswegen geheiratet, um ihrem großen Traum, dem Titel "Hoflieferantin", ein wenig näher zu kommen.

So richtig einschätzen konnte Jodokus diese Beergard von Rabenmund nicht, trotz gelegentlicher Plaudereien. Die "Braut der Blutnacht" hatte auf ihn immer besonnen gewirkt, als eine Frau des Ausgleichs: Nachdem ihre Ehe mit Wahnfried von Bregelsaum seinerzeit das Gemetzel in den Gassen der Fürstenstadt ausgelöst hatte, schien sie wenig erpicht auf innermärkische Fehden und Zänkereien zu sein.

Als Baernfarn war Jodokus ebenfalls kein Freund von Intrigen, Machtgerangel, Adelsränken. Wenn er allein an seinen unglücklichen Vater Deggen dachte, der damals von der Fürstenfamilie abgesetzt und verbannt worden war. Auch er, sein Neffe, hatte allen Grund, vorsichtig zu agieren. Rabenmund war Rabenmund.

Leise klirrten die Münzen im Dukatenbeutel. Der Baernfarn stellte fest, dass er den Inhalt der Börse noch gar nicht richtig nachgezählt hatte. Er hatte in jedem Fall abgenommen. Die Dukaten und ein paar Taler fehlten, nur das Kleingeld schien noch komplett zu sein. Was war das denn? Jodokus zog eine goldrote Holzscheibe hervor, die in der Größe an einen Silbertaler erinnerte. Der Schriftzug "5 Taler" war zu entziffern. Ah, ein Jeton. Spielgeld. Auf der Rückseite war rundum ein weiteres Wort eingeschnitzt: "Die Flusshexe". Die Scheibe wirkte schon ein wenig abgegriffen. Eine neue Spur?

Der junge Patrizier zuckte zusammen, als es an der Tür klopfte. "Herein!" Er ließ den Jeton in der Faust verschwinden.

Cella, die Dienstmagd, trat ein. "Gnädiger Herr, entschuldigt bitte die Störung. Da ist eine Magierin vor der Tür und möchte mit Euch sprechen."

Jodokus hob die Augenbrauen. "Noch eine gute Bekannte des Herrn Alrik von Friedwang?"

"Nein, gnädiger Herr. Halike Rattel. Vize-Speck...Spektatitel..Spektakel..."

"Spektabilität" half der Baernfarn nach, selber erstaunt. "Die Vize-Leiterin unserer Magier-Akademie?!"

"Ja, Herr." Cella deutete einen Knicks an, wie immer, wenn sie verlegen war. "Ich glaube schon."

"Soll hereinkommen." Jodokus nickte, leicht beunruhigt, und schlug das große Geschäftsbuch zu. Auch den Dukatenbeutel ließ er verschwinden, mitsamt Spielgeld.

Wenig später trat die Magierin ein, mit weiß-rotem Gewand, das Greifensymbol des Informations-Instituts am Kragen. Dunkelbraune, schon etwas ergraute Haare, sicherlich 60 Götterläufe alt oder mehr. Die mandelförmigen Augen wirkten ein wenig elfisch, die Glaskugel auf dem Zauberstab erinnerte an einen Bernstein. Eine Praiosmagierin - allein der Begriff verwirrte Jodokus. Hätte er nicht gerade erst mit einem Zauberer zu tun gehabt, seine Nervosität wäre noch größer gewesen. Halike Rattel war allerdings das genaue Gegenteil des etwas "lässigen" Graumagiers. Ihre Robe sah aus, als wäre sie gerade erst aus der Wäscherei gekommen (und frisch gestärkt worden), die korrekte Frisur erinnerte eher an eine Statue als ein Wesen aus Fleisch und Blut. Die Frau strahlte Macht und Autorität aus, gerade im Schattenspiel der Kerzen.

Jodokus versuchte an irgendetwas Unverfängliches zu denken.

"Halike Rattel", stellte sich sein Gast vor. "Spectabilitas Secunda des Informations-Instituts zu Rommilys. Praios und die übrigen Elfe zum Gruße, Herr von Baernfarn."

Der Patrizier erhob sich und murmelte einen Gegengruß. Verdammt, er wirkte sicherlich wie ein schlecht vorbereiteter Zauberschüler vor seiner Lehrmeisterin, nur ohne jede astrale Begabung. Nervös bot er der Magierin den Stuhl an (wo vor kurzem noch Haldana gesessen hatte).

Halikes Blick ging über das Bücherregal, durchaus anerkennend. Formvollendet schlug sie ihre Robe zurück, als sie auf dem Stuhl Platz nahm, und lehnte ihren Stab gegen den Tisch.

"Darf ich Euch etwas anbieten? Ein Bier unserer Brauerei vielleicht?"

"Vielen Dank, werter Herr von Baernfarn. Ein Tee würde vollauf genügen."

"Schwarz?"

"Ich trinke ihn gerne mit einem Schuss Milch."

"Also weiß. Natürlich. Erkältungswetter momentan, nicht wahr." Jodokus musste an sich halten, um nicht einfach loszuplappern. Er klingelte nach Cella und bestellte sich ebenfalls einen Tee.

"Sehr liebenswürdig von Euch", sagte die Magierin. "Ah. Prems Tierleben. Die Kartensammlung des Admiral Sanin. Interessante Bücher. Eure Geschäftsbeziehungen erstrecken sich mittlerweile über ganz Aventurien?"

Der Magierin war nicht anzumerken, ob diese Bemerkung ironisch gemeint war.

"Ich habe eine große Familie, wie ihr wisst" sagte Jodokus ausweichend und versuchte ein Lächeln. "Da braucht man fast schon einen Dere-Apfel, um zu sehen, wo sie sich gerade aufhalten. Trahelien, die Elfenlande, Nordmarken, Albernia...nur in Güldenland, Riesland oder Uthuria sind wir noch nicht vertreten. Glaube ich. "

Halike Rattel nickte, mit charmantem, wissbegierigem Lächeln. "Ein Dere-Apfel? So seid Ihr ebenfalls der Ansicht, unsere Welt wäre eine Kugel, nicht eine Scheibe?"

"Nun, der maraskanische Teil meiner Verwandtschaft geht wohl von einer Scheibe aus. Einem Weltendiskus, wie Alvan sagen würde."

"Harika von Bethana, die Königin der Meere, hat behauptet, sie hätte Dere umrundet, mit dem Schiff."

Jodokus hüstelte. War die Magierin deswegen in seinem Büro aufgetaucht, um eine derographische Debatte mit ihm zu führen? Das schmeichelte ihm zwar irgendwie, war aber nicht das, was ihm im Moment im Kopf herumging.

"Da würde das Schiff ja früher oder später runterfallen", sagt er. "Vom Riesen-Apfel, sozusagen."

"Nun, eine Fliege schafft es ja auch, einen Apfel zu umrunden. Man muss dabei wohl die Relation der Größenverhältnisse berücksichtigen."

Der junge Edelmann schluckte. Hatte die Maga gerade "Fliege" gesagt?

Der Tee kam, mit Milchkännchen und Zuckerschälchen. Cella goss zum Glück einigermaßen beherrscht ein (auch wenn Jodokus ihr leichtes Zittern und das Klappern des Kannendeckels nicht entging).

"Brabaker Kandiszucker", sagte Jodokus mondän und wies auf die Schale. "Das Porzellan ist aus Unau." Halike, die Fastnamensvetterin dieser Seefahrerin, tauchte den Silberlöffel hinein und rührte kräftig um. Dann kam noch etwas Milch dazu.

"Heiß", sagte die Magierin und murmelte etwas. Ein kühler Lufthauch wehte um die Tasse, aus dem Nichts. Fast schon ein kleiner Wirbelwind. Ein Dampfwölkchen stieg aus der Tasse auf, die mit blauen Valluser Veilchen geschmückt war. "Ah, jetzt geht`s. Seid bedankt." Die stellvertretende Akademieleiterin nippte formvollendet. "Sehr gut."

Die Augen des Patriziers und seiner Dienerin weiteten sich noch mehr. Sollte das eine Anspielung auf den Brand in der Bockengasse sein?

Jodokus gab Cella ein Zeichen, die mit einem Knicks nach draußen huschte, sichtlich erleichtert, sich entfernen zu dürfen.

"Nun, werte Frau Rattel", sagte der Baernfarn, als sich die Tür geschlossen hatte. "Kommen wir zum Grund Eures Besuchs. Wie kann ich Euch sonst noch zu Diensten sein?"

"Ein etwas delikates Thema. Ich komme gerade aus dem Palast, wo zwei Diebe eingekerkert worden sind. Einer der beiden Schnapphähne hat Euch den Geldbeutel gestohlen, habe ich gehört?"

"Ja..ja. Zum Glück habe ich ihn zurück erhalten. Ihr seid bemerkenswert gut informiert."

"Genau deswegen führt unsere Institut seinen Namen", sagte Halike Rattel, wobei sie doch etwas schnippisch wirkte (wie Jodokus fand). "Zauberei war diese Erkenntnis allerdings nicht. Auch Magier lesen Steckbriefe."

"Nun, es ehrt mich, dass die stellvertretende Akademieleiterin selbst sich des Falls annimmt. Und verwundert mich zugleich. Wie gesagt, ich habe mein altes Familienerbstück wieder. Alles bestens. Praios Gerechtigkeit wurde Genüge getan."

"Wisst Ihr, was das Problem an Informationen ist? Unsereins hat am Ende immer viel zu viel davon. Statt zu wenig. Deswegen möchten wir die Dinge am liebsten einfach halten. Einfach und unkompliziert. Im Palast weiß man bestens Bescheid, was das Problem mit Eurem Braumeister angeht. Ebenso, dass Ihr in dieser Angelegenheit mit Baron Alrik von Friedwang, seinem Hofmagier und mehreren Abenteurern zusammenarbeitet."

Jodokus merkte, dass auch seine Tasse ein wenig zitterte. Heiß, der Kräutersud war wirklich heiß.

Hastig blies er darüber, ganz ohne Magie - und stellte das Porzellan erst mal wieder ab.

"Habt Ihr Euch die Finger verbrannt?"

"Besser die Finger als die Zunge. Ich meine natürlich... ich denke..."

"Wann genau wolltet Ihr noch einmal die zuständigen Stellen informieren? Über alles, meine ich?"

"Wir hatten die Situation vollkommen im Griff. Wir...ich..."

Jodokus begann zu schwitzen und sich vollends zu verhaspeln. "Jedenfalls gibt es keinen Grund zur Besorgnis, denke ich..."

Halike rührte wieder in ihrem Tee. "Ihr braucht Euch nicht zu rechtfertigen. Nicht vor mir. Wir sind das Informations-Institut...nicht die Heilige Inquisition. Nicht einmal mehr die KGIA..." Das leise Seufzen klang wie ein "leider".

Die Magierin schien nun in weite Ferne zu blicken, über den Tassenrand hinweg. "Wisst Ihr. Mein Vater, er war ein einfacher Gastwirt im Wehrheimschen. In einem Fährhof am Dergel. Es wundert mich selbst, wenn ich davon berichte. Aber als ich noch Elevin war, etwa in Eurem Alter, da habe ich oft in der Schankstube Bier ausgeschenkt. Um mir ein wenig dazu zu verdienen, für das Studium im Rommilys. Das war noch zur Zeit der Tausend Oger. Eine Horde der Menschenfresser tauchte eines Tages vor dem Fährhof auf. Den Anblick dieser Unholde werde ich nie vergessen. Eine Gruppe Helden - wahrer Helden - hat den Rattelshof damals gerettet. Unseren Fährhof und nach allem, was ich gehört habe, das ganze Reich. Einen Mord gab es damals auch, an einem kaiserlichen Kurier, durch einen Meuchler des rübenschädligen Galotta. Seitdem ist viel Wasser den Dergel heruntergeflossen. Weit schrecklichere Dinge haben sich ereignet. Aber, Ihr versteht, das war damals meine Familie, mein Zuhause. All die Panik, die Angst in den Gesichtern der Flüchtlinge und Soldaten. Das geschah bei uns, auf dem kleinen Hof von Elgor Rattel, meinem Vater."

Halike stellt ihren Tee zurück. "Jedenfalls weiß ich nur zu gut, wie es sich anfühlt, wenn die eigene Existenz auf dem Spiel steht, durch schwarzmagische Umtriebe. Von einem Moment auf den Nächsten, ohne eigenes Zutun. Lange Rede, kurzer Sinn. Nachdem wir ohnehin mit diesem Hofmagus Hesindian befasst waren, hat uns die Kanzlerin mit der Klärung des Ganzen beauftragt. Ich will offen mit Euch reden. Es geht Ihr natürlich um Vertuschung. Es wird nicht einmal einen Prozess gegen das dreiste Diebespärchen geben. Jedenfalls keinen öffentlichen." Halike schüttete noch etwas Milch nach.

"Denn darin sind wir uns doch hoffentlich einig. Weder Ihr noch der Palast haben auch nur das geringste Interesse daran, dass die Vorfälle in der Stadt bekannt werden. Ich schlage Euch ein Geschäft auf Gegenseitigkeit vor: Ihr erzählt mir alles, was Ihr noch über diese Intrige wisst. Vor allem liefert Ihr das, was von der dämonischen Substanz vorhanden ist, ans Informations-Institut aus. Ihr könnt es gerne als Bierlieferung tarnen. Im Gegenzug sichere ich Euch größtmögliche Diskretion zu."

"Hm. Was wird aus Raberto Gustlfinger und dieser Marike? "

"Sie haben als Feinde der Götter und des Reiches gehandelt. Entsprechend werden sie als solche bestraft" sagte die Magistra kühl. "Schade, dass sich die sicheren Bleikammern nicht mehr in Rommilys befinden. Nun, unsere kleine Plauderei hat mich auf eine Idee gebracht, wie man verfahren könnte. Von wegen Kugelgestalt Deres. Die Strafkolonie in Hôt-Alem ist weit genug entfernt, damit sie in der Stadt und der Rommilyser Mark keinen Ärger mehr bereiten können. Praios wird dort in hohen Ehren gehalten, so dass es auch an moralischer Unterweisung nicht fehlen wird. Verbannung an den Tirob, ins Fürst-Protektorat von Hôt-Alem. Das wäre ein überaus mildes Urteil, wie ich finde, im Anbetracht der Umstände. Mögen die guten Götter entscheiden, ob sie die beiden Sträflinge dort an Mühsal, Fieber und giftigem Gezücht zu Grunde gehen lassen. Oder ob sie nach einer Zeit der Läuterung vielleicht doch noch auf den Weg des Lichts zurückkehren dürfen."

Jodokus nickte. Hôt-Alem, das lag ziemlich weit im Süden. Klang nach buntbemalten Wilden im Regenwald und schuppigen Echsenmenschen in den Sümpfen. Er würde nachher auf einer der Karten nachsehen müssen. Ob die Verschickung in die "Grünen Niederhöllen" ein "überaus mildes" Urteil war: der junge Baernfarn bezweifelte es. Allein die Fahrt durch das Perlenmeer und die Blutige See kam heutzutage schon einem Götterurteil gleich. Oder einem Dämonengericht.

Er schluckte. Fast schon fühlte er sich selbst wie ein Sünder vor Praios, ob seiner Heimlichkeiten. "Nun gut, ich werde erzählen, was ich sonst noch, äh, erfahren habe."

Die Magierin zückte ein Notizbuch, was dem Patrizier merkwürdig altmodisch vorkam, und notierte den Bericht des Baernfarn. Als die Sprache auf Helbers Hof und das Unheiligtum der "Bienenkönigin" kam, blickte Halike kurz auf. "Wir werden uns darum kümmern" sagte sie leise. "Die Situation ist noch ernster, als ich befürchtet habe."

Jodokus weitete seinen Kragen etwas. Hatte er gerade eben einen Fehler begangen? Er erinnerte sich an Tuvoks Begegnung mit dem falschen Alrik. Was, wenn der Magier gerade vor ihm saß, in falscher Gestalt, um ihn auszuhorchen? Immerhin hatte er gerade alles ausgeplaudert, was sie über die Morfunello-Affäre wussten.

"Seid unbesorgt", sagte Halike mit feinem Lächeln und klappte ihr Büchlein zu. "Wenn ich wirklich dieser Schwarzmagier wäre, hätte ich es kaum nötig, auch noch in Euren Gedanken zu lesen."

Der Baernfarn, der gerade wieder nach seinem Tee greifen wollte, hätte die Tasse um ein Haar umgestossen.

"Na...natürlich..."

Einen Moment lang wusste Jodokus buchstäblich nicht mehr, was er denken sollte. Oder noch durfte.

Dann fiel dem Händler etwas anderes ein. Er zog den Jeton aus dem Bärenwappen-Beutel hervor.

"Wisst Ihr vielleicht, was es damit auf sich haben könnte? Offenbar hat das dieser Raberto etwas in meiner Börse hinterlassen."

Halike Rattel betrachtete die Holzscheibe ausgiebig von beiden Seiten. "Die Flusshexe. Das war einmal ein berüchtigtes Spielhaus am Darpat. Genauer gesagt ein Spielhaus auf dem Darpat. Eine Prunkbarke, auf der ausgiebig dem Boltan oder dem Chorhoper Glücksrad gefrönt wurde. Es lag schon außerhalb der Mauern und damit des Stadtrechts. In der Zeit der Traviamark wurde das Schiff endgültig verbannt. Ich habe gehört, dass es nun von Flusspiraten genutzt wird, darpatabwärts. Andere sagen, es wäre im Krieg gesunken."

"Seltsam, dass Raberto noch einen Jeton bei sich hat."

Die Vize-Spektabilität drehte ihn versonnen zwischen ihren Fingern hin und her. "Vielleicht ein Erkennungszeichen oder so etwas. Es war nie so ganz klar, wem die Flusshexe eigentlich gehört hat. Der offizielle Besitzer war ein wasserscheuer Hügelzwerg, der sich kaum in Flussnähe hat sehen lassen. Geschweige denn auf dem Schiff. Wir hatten damals den Verdacht, dass dort ein Zauberkundiger sein Unwesen getrieben hat. Der die Spiele manipulieren konnte, auf magische Weise. Der Zinker vom Darpat..."

"Wie soll das gehen?"

"Nun, beim Glücksrad kann man die Kugel oder das Rad per MOTORICUS MOTILITICH..."

Ein fragender Blick des Baernfarn.

"Ein Zauber, mit dem sich unbelebte Materie in jede gewünschte Richtung bewegen lässt. Würfel ebenfalls. Die Spielkarten waren mit einem reversalierten PENETRIZZEL gezinkt...mit dem LEZZIRTENEP konnte man seinem Gegenspieler jederzeit in die Karten blicken. Nicht die schlechteste Möglichkeit, um ans schnelle Geld zu kommen. Der Verdacht war mit ein Grund, warum die schwimmende Spielhölle endgültig aus Rommilys verschwinden musste. Neben den strengen Gesetzen der Travia natürlich.

"Könnte der Zinker vom Darpat und der Hexer von Rommilys ein und dieselbe Person sein?"

"Ich war damals mit dem Fall befasst. Eure Beschreibung dieses Gerrich von Friedwang sagt mir etwas. Auch wenn er sein Gesicht magisch getarnt haben könnte. Wir haben damals nur die Karten, die Würfel und das Glücksrad beschlagnahmen können, die noch heute in unserer Asservatenkammer liegen. Die Angestellten auf der Barke wussten von nichts, der Zwerg war nur ein Strohmann. Allerdings, die Spielutensilien waren derart oft verzaubert worden, dass sie am Ende ein magisches Eigenleben hatten. Fast schon wie beseelte Artefakte."

Jodokus schlürfte wieder seinen Tee. "Wie das?"

"Nun, immer wenn man das Glücksrad dreht, die Würfel wirft oder die Karten auf den Tisch legt, scheinen sie sich in eine bestimmte Richtung auszurichten. Alle in die gleiche Richtung, wohlgemerkt. Wie die Nadel eines Südweisers. So sind wir damals dem Zinker auf die Schliche gekommen...auch wenn wir ihm leider niemals habhaft werden konnten."

"Sie zeigen in die Richtung, wo der...der Zauberer sich gerade aufhält?"

"Ja, sie scheinen eine besondere Affinität zu ihrem Herrn und Meister entwickelt zu haben. Ein faszinierendes Phänomen, unabhängig von allem anderen. Natürlich haben wir versucht, auf diese Weise die Spur des Zinkers aufzunehmen, entsprechend unserer Theorie. Die Fährte verlief vom Hafen aus in Richtung Praiosstadt. Das war allerdings das Problem. Sowohl in der Nähe des Praiostempels als auch der Akademie spielten die Karten, Würfel und das Glücksrad irgendwie verrückt. Vermutlich wurde der Effekt durch die Ansammlung arkaner Kräfte im Institut ebenso gestört wie durch die magiebannende Wirkung des Praios-Sanctuariums." Halike trank ihre Tasse aus.

"Die Gebäude liegen ja beide nahe beieinander. Ich kann mich erinnern, dass Praiodane Werckenfels, unsere damalige Akademieleiterin, ernsthaft beunruhigt war. Ihr kam es so vor, als ob es in dem Bereich eine Perturbation der Kräfte des Praios und der Mada geben könnte. Eine wechselseitige Störung. Was allerdings der philosophischen Grundordnung unseres Hauses widersprechen würde, derzufolge praiosgefällige Magie möglich ist. Jedenfalls wurde die Angelegenheit damals auf ihre strikte Anweisung hin nicht mehr verfolgt."

"Nun, die Bockengasse befindet sich ungefähr in der Gegend", sagte Jodokus, eher zu sich selbst. "Das würde schon auf Gerrich von Friedwang hindeuten. Derzeit haben wir nur eine vage Spur, die in Richtung Neuborn weist, vielleicht auch in die Trollzacken. Mit Hilfe der Karten, der Würfel und des Glücksrads könnte man sie weiterverfolgen."

Halike erhob sich, strich ihre Robe zurecht und griff nach ihrem Stab. "Nun, die Sache sollte ein für alle Mal geklärt - und das Problem endgültig beseitigt werden. Ich kann Euch und Baron Alrik in dieser Sache Rückendeckung von unserem Institut geben - und dazu das magische Spielzeug, wie ich es einmal nennen möchte. Rückendeckung und den lukrativen Titel Hoflieferant. Wenn Ihr mir die Fässer mit dem Gift ausliefert. Außerdem werde ich noch einmal Raberto befragen lassen, was genau es mit diesem Jeton auf sich hat."

 

Alrik führte die Schar am Darpatufer entlang. Die Flusshexe, die kannte der Streuner von früher. Lange Zeit war es her, bevor er damals zur Rückeroberung der Baronie Friedwang anhob. Er hatte so manchen Taler in der Flusshexe gewonnen, der ihm später hilfreich war, Gernot vom Steinbockthron zu vertreiben. Alrik hatte natürlich durchschaut, dass falsch gespielt wurde. Als erfahrener Spieler hatte er aber auch bemerkt, welcher Strohmann des Betreibers der schwimmenden Spelunke gerade eine „Glückssträhne“ hatte. Da war es ein leichtes, in dessen Erfolg mitzuschwimmen und immer wieder ebenso wie der auserkorene Gewinner zu setzen. Nicht zu oft, dass es nicht auffiel. Aber oft genug, um allabendlich mit einem kleinen Gewinn spätabends das Schiff zu verlassen.

Jedenfalls ist das Schiff früher immer wieder ein Stück stromabwärts gefahren. Bis zum Darpatdurchbruch, durch die Engstelle zwischen den Trollzacken und den Ausläufern vom Raschtulswall.“

Was hätte es dort erledigen sollen?“ fragte Jodokus nach. „Die Gewinne abliefern? Warum nicht in Rommilys bei einem Bankhaus, da hätte man sich die Fahrt sparen können“

Nicht jeder vertraut den Banken“ brummte Rovik. „Die geben einem doch nur einen Wechselschein, aber wer garantiert, dass man später wirklich wieder Gold dafür bekommt?“

Jodokus wollte zu einer Erwiederung ansetzen und dem Zweifler ein paar Fakten über das Bankwesen erläutern. Aber er unterließ es. „Nun, wir können wohl nicht jede Motivation erraten, die Gerrich bewog, so zu handeln. Wenn er es denn wirklich war.“

Jedenfalls ist es eine Spur, und die Karten und Würfel weisen zumindest in diese Richtung“ warf Hesindian ein. „Es mag dort einen Stützpunkt geben. Ah… mein Rücken. In meinem Alter wäre eine Kutsche besser, als auf einem Gaul zu sitzen.“

Gaul?“ wiederholte Jodokus. „Das ist gute Rommilyser Zucht. Und anders als eine Kutsche auch für unwegsames Gelände geeignet.“ der Patrizier war leicht erzürnt. „Aber wenn der Herr Magus lieber zu Fuß geht..“

Nein, nein. Und vielen Dank, dass du die Pferde zur Verfügung stellst.“ beschwichtigte Alrik rasch. „Sogar Rovik kommt mit dem Reiten zurecht, und man sagt Zwergen ja sonst nach, nicht zu den besten Reitern zu gehören. Die Pferde sind wirklich gut.“

Rovik brummte wieder. Aber mit dem etwas kleiner gewachsenem Fuchs war er tatsächlich zufrieden.

Auch Tuvok und Haldana konnten reiten, wie Jodokus beruhigt feststellte. Er war anfangs unsicher, ob es eine gute Idee war, die Nachforschungen außerhalb der Stadt beritten anzugehen. Nicht jeder Leibeigene konnte reiten. Aber die Sichlerin war offenbar nicht zum ersten Mal auf dem Rücken eines Pferdes gesessen. Und auch der Nivese war kein völliger Anfänger. Dennoch hatte er den drei, wie er annahm, nicht so erfahrenen Reitern gutmütige Stuten ausgesucht. Dass Hesindian als Hofmagier reiten konnte, hatte Jodokus vorausgesetzt. Der Baron hatten ja sein eigenes Pferd.

Naja, jedenfalls meine ich mich zu erinnern, dass es da am linken Darpatufer einen Steg gab, noch vor dem Gluckenhangschen Land. Dort hat das Schiff immer wieder einen Liegeplatz gesucht.“ erläuterte Alrik noch einmal.

Du sagst es.“ brummte Rovik. „Am linken Ufer. Aber wir sind am rechten Ufer. Eins sage ich Dir, Baron. Ich werde nicht ans andere Ufer schwimmen.“

Alrik überhörte die nicht den Etiketten entsprechende Anrede des Angroschim. Er verstand, dass Reiten und Schwimmen zusammen dann doch zu viel war, was er einem Hügelzwerg zumuten konnte.

Nun, da wird sich etwas finden“ beschwichtigte Haldana. „Was mich aber viel mehr interessiert, ist diese Kapelle der falschen Peraine.“ Sie trieb ihren Apfelschimmel an. Roviks Fuchs folgte.

Es gibt genug Fuhrleute, die uns an passenden Stellen übersetzen werden“ führte Jodokus aus. „Nur nicht hier. Wir werden uns zuerst diese Kapelle noch einmal anschauen. Und dann übersetzen. Wir wissen nicht, ob dieser Gerrich noch weitere Gefolgsleute hat. Aber wenn, dann wird er erfahren, dass wir nach Firun geritten sind, zur Litzelstadt und in Richtung des Korvid Alfengrund. Er darf sich gerne weiter in Sicherheit wiegen, dass wir von ihm noch nichts wissen. Nicht zuletzt deswegen reiten wir ja in die andere Richtung. Zunächst einmal.“

Es gibt genug Fischer, die uns über den Darpat setzen werden. Egal wo.“ bestätigte Jodokus. „Auch Fischer, die ich kenne und die nicht geschwätzig sind. Nicht so geschwätzig wie der Fährmann, von dem wir erfahren haben, wohin die Familie Krummbacher gebracht wurde… übrigens, von der Richtung des Weges nach der Furt passt das zur Anlegestelle der Flusshexe. Nur halt auf dem Landweg. Aber vielleicht treffen wir da gleich mehrere Fliegen auf einen Streich.“

Oder erst mal Bienen“ Alrik grinste. Ich kann mir vorstellen, dass der Imker auf Alfengrunds Anwesen einiges mehr zu erzählen hat, wenn wir ihn mal konsequent befragen.“ Alrik zügelte seinen Elenviner, also sie sich dem mit wildem Wein umrankten Fachwerkbau näherten. Herbers Hof machte einen ruhigen und friedlichen Eindruck.

Und du hast niemand außer dem Imker gesehen?“ wunderte sich Tuvok. „Aber so ein großer Hof mit Kapelle nebenan, der lässt sich von einem Mann allein doch gar nicht bewirtschaften. Waren da wirklich weder Mägde noch Knechte?“

Naja, nicht dass ich welche gesehen hätte. Aber, stimmt. Das ist seltsam. Allerdings… wenn Meister Alfengrund nicht dort ist… dann braucht er kein Gesinde. Und von Landwirtschaft wird er ja nicht leben.“ Der Baron brachte sein Pferd zum stehen und stieg ab. Alrik stöhnte. Früher war ihm das Reiten auch leichter gefallen. . „Sehen wir uns mal um. Tuvok, du bleibst bei den Pferden.“

Der Nivese nickte und übernahm die Zügel, die Alrik ihm zuwarf. Ebenso wie die Zügel des jungen Patriziers. Mit beiden Pferden ging er zu einem Walnussbaum, in dessen Schatten die Pferde grasen konnten. Die anderen Reittiere folgten Jodokus Pferd, das sie als Leitstute anerkannten. Tuvok sah sich um. Es war weiter still im Hof. Der Jäger sagte nichts. Es gab nichts, das ihn beunruhigen müsste, und dennoch mahnte ihn der Instinkt des Jägers zur Vorsicht. Vorsorglich spannte er den Bogen und lege einen Pfeil auf.

Alrik ging zur Tür und klopfte an. „Meister Alfengrund? Peraine zum Gruß. Seid ihr da? Ich hatte noch eine Frage zu meiner Heilung.“ Nur nichts anmerken lassen, dachte sich der Mondschatten. Er hatte dem Imker zuletzt gesagt, dass er ein Patient des Doktors war. Am besten er blieb bei der Sache. Erst einmal. Bis man den Imker gefasst hatte und ihn befragen konnte.

Alles blieb weiter still, außer den Bienen in ihren Körben, die wie üblich bei dem sonnigen und nicht zu kalten Wetter um die Körbe kreisten und Pollen und Nektar sammelten. Haldana ging hinüber, um sich die Immen anzusehen. Nicht umsonst hatte sie sich ihre Haare zu einem straffen Zopf zusammen gebunden. Bienen stachen, wenn sie Angst hatten. Und sie bekamen Angst, wenn sie sich in langen Haaren verfingen und nicht mehr frei fliegen konnten. Das hatte sie schon als kleines Mädchen gelernt. Das zweite, was Haldana seit je her wusste, war, dass sie sich langsam bewegen mussten. Schnelle, hektische Bewegungen wurden von Bienen als Angriff eingestuft, und dementsprechend beantwortet. Also schob sie sich langsam und jede Hast vermeidend vorwärts zu den Bienenkörben. Das summen der fleißigen Insekten wirkte beruhigend auf sie.

Alrik öffnete die Tür und spähte in die Stube. Niemand zu sehen. Vorsichtig ging er ins Innere. Jodokus, Hesindian und Rovik folgten ihm.

Haldana blickte, von Bienen umsurrt, zu Tuvok. Dass der Jäger den Bogen bereit hielt, beunruhigte sie. Hatte sie etwas übersehen? Wenn sich im Haus etwas befand, konnte sie es gar nicht sehen. Aber auf dem Hof… da war nichts. Wie ausgestorben lag Helbers Hof da. Nur dass der Hof nicht grundsätzlich verlassen war. Haldana wusste, dass Tuvok einen guten Instinkt für Gefahren hatte. Sie zog sich hinter den Bienenkorb zurück.

Plötlich ein hölzernes Klappern. Einige Schläge, unterdrückte Schreie. Die Fensterläden des Hofes waren zugeschlagen. Was im Inneren vor sich ging, konnte man nicht erahnen. Ein Gefecht? Plötzlich wurde die Haustür aufgestoßen. Ein Schrei. Die Haustür knallte mit Schwung an die Wand. Ein schwarzbärtiger mit zwei laut kläffenden Hunden hetzte auf Tuvok zu. Ein glatzköpfiger Dicker mit Axt stürmte auf Haldana heran.

War das dieser Ogerbarne, den sie neulich im Phexfinger gesehen hatten? Haldana war sich nicht sicher. Jedenfalls riss der Dicke die Axt nach oben und brüllte.

Haldana lächelte und wartete reglos auf den Heranstürmenden. Noch nicht einmal ihre Klinge zog sie. Es mochte auf einige Entfernung so wirken, als wäre sie ein leichtes Opfer, das den heranstürmenden Feind unterschätzte. Fast auffordernd lächelte sie den zwei Zentner schweren Fleischkoloss an. Das grausame Brüllen wich einem entsetzten Schreien.

Haldana lächelte noch immer, ohne sich zu rühren. Das war der zweite Fehler gewesen, den der Dicke gemacht hatte. Nicht nur dass er axtschwingend vor dem Bienenkorb vorbei gerannt war - und nicht dahinter. Natürlich stürzten sich die Bienen auf den vermuteten Angreifer und stachen im Dutzend auf ihn ein. Noch viel wichtiger: Wenn ein Schwarm Bienen dich angreift, so lautete die fast wichtigste Regel im Umgang mit den stachelbewehrten Insekten, dann lass den Mund zu.

`Der hat sich selbst abgestochen` murmelte Haldana und ging langsam seitwärts, weg von den um den am Boden liegenden und sich vor Schmerzen krümmenden Ogerbarne. Natürlich schwirrten die wütenden Bienen auch um sie. Aber da sie ruhig blieb, wurde sie nur vereinzelt gestochen. Nicht von über zwei Dutzend Stichen, wie der Dicke. Und anders als dieser hatte sich ihr Körper bereits an das Gift der Bienen gewöhnt. Sie hatte, früher bei der Bienenhaltung, genug Stiche abbekommen, so dass sie jetzt zwar den Schmerz spürte, diesen aber eher als anregend denn als Pein empfand.

Ein Blick offenbarte, dass es um Tuvok nicht so gut stand. Den ersten Hund hatte der Nivese mit sicherem Pfeil erlegt. Dem zweiten jedoch konnte er nicht ausweichen. Das kräftige Gebiss des Hundes, offenbar eine Dogge, schlug sich kräftig in den linken Unterarm Tuvoks. Ein stechender Schmerz durchfuhr den Jäger, der Bogen und Pfeile fallen ließ, um nach dem Messer im Gürtel zu tasten. Gleichzeitig zog der Hund nach unten. Tuvok stürzte zu Boden.

Eine Dogge ließ niemals aus, was sie in den Zähnen hatte. Das wusste Tuvok. Obgleich er vor Schmerz fast besinnungslos wurde. Ruckartiger Schmerz durchzog den Arm, an dem der Köter hing und zerrte.

Doch der Nivese war ein erfahrener Jäger. Er wusste, wie Wölfe kämpften. Und er wusste, wie Hunde kämpften. Als Rudeltiere waren sie es gewohnt, ihre Beute zu fassen und zu halten und den tödlichem Biss einem anderen Rudelmitglied zu überlassen.

Aber Tuvok war schneller, als der Schwarzbärtige heran gekommen war. Allen Schmerz niederkämpfend ignorierte er die Wunde, zog sein Messer mit der freien Hand und zog es dem Hund durch die Kehle.

Noch bevor alles Blut aus der Wunde des Hundes gelaufen war, war der Schwarzbart heran und schlug mit seinem Knüppel zu. Tuvok wurde es schwarz vor Augen.

Haldana verschloss das Ausflugloch eines Bienenkorbes mit einem Stock, der wie dafür geschaffen neben den Bienenkörben bereit lag.

Schwarzbart ließ den Knüppel fallen und zog das Messer.

Haldana hob vorsichtig und langsam einen Bienenkorb hoch. Sie ächzte unter der Last. Die Bienen hatten offenbar schon reichlich Honig eingetragen.

Schwarzbart bückte sich, sah mit finsterem Blick auf den Nivesen und hob das Messer, um zuzustechen.

Haldana warf den schweren Korb sechs Schritt weit auf den Schwarzbart. Das Holz fiel aus dem Flugloch, der Korb trallerte weiter. Die Bienen sausten und schwirrten in Myriaden aus dem Korb und stachen auf alles ein, was im Weg war. Am allermeisten auf den hektisch und panisch um sich schlagenden Schwarzbart.

Natürlich bekam auch der am Boden liegende Tuvok einige Stiche ab. Er würde es überstehen. Auch Haldana wurde erneut zwei mal gestochen. Haldana fühlte sich seltsam belebt und beschwingt vom Bienengift. Es war wie der erste Stich im Frühling bei der ersten Völkerkontrolle nach dem Winter. Ein seltsames Gefühl von Lebendigkeit, das ihren Körper im Schmerz durchströmte.