10.Kapitel

"Beim Traviabund und seiner Gültigkeit, nun ja, da gehen die Meinungen der Rechtsgelehrten wirklich auseinander"

Der Efferdgeweihte wunderte sich, wie leicht ihm das "Schmalsteg-Geplauder" von den Lippen ging, wie man in Perricum gesagt hätte. Vermutlich lags am Bier. Er prostete seinem Gesprächspartner zu, dem Traviadiener, der im Schein der Laternen zufrieden auf sein Werk blickte.

"Sicherlich seid Ihr bei diesem Thema der Berufenere, Bruder Domarian. Ich kenne mich mit Knoten aus, Takelage, einem Bootssegen, den Delphinmanuskripten oder dem Brausen des Gebelaus...aber eine Eheschließung ist wohl etwas völlig anderes."

Efferdi Falswegen nippte an Basils Trunk, lächelte dem Akoluthen freundlich zu - und versuchte nicht auf den merkwürdigen Gesang der Braut zu hören, im Hintergrund. Fast schon war es wie in dieser Geschichte vom cyclopäischen Seefahrer, der sich Wachs in die Ohren stopfen musste, um nicht dem Gesang der Meerjungfrauen zu verfallen.

Auch wenn diese Haldana wirklich eine vorzügliche Lautenspielerin und Sängerin war, wie er zugeben musste. Aber Mattis der Reimer, das war nun wirklich seltsames Liedgut auf der eigenen Hochzeitsfeier. Ich will das, ich will das nicht. Und ich frag mich, wie komm ich jetzt hier raus.

Derart exzentrische Adelige hatte er schon lange nicht mehr getroffen. Allein die schrille Frisur.

Du bist verrückt mein Kind, du musst nach Gareth. Unwillkürlich summte er die Melodie eines anderen Gassenhauers.

Egal, er war froh über die kleine Abwechslung im langweiligen Alltag von Hausnerhaven. Für einen Moment hätte er fast der verrückten Geschichte des jungen Fischers Glauben geschenkt, Menno oder wie der Bursche hieß. Eine Hexe wäre dem Schiff vorangeflogen, auf dem Besen, und hätte es an einem Seil gezogen. Vermutlich nur eine Ausrede, die sein peinliches Kentern erklären sollte.

Zum Glück kannte er Kapitän Flarion Silbertaler. Zumindest waren sie sich schon ein paar Mal über den Weg gelaufen. Flachwasser-Flarion, so nannten sie ihn in Rommilys, oder einen Hochstapler und ein Großmaul. Von Glückspiel war die Rede, Schmuggel und sogar Flußpiraterie.

Efferdi hatte auch schon andere Geschichten gehört. Demnach sollte Flarion aus dem Lieblichen Feld stammen, als Sproß einer vornehmen Patrizierfamilie, irgendwo aus der Gegend von Silas. Bei einem Bankrott habe er viel Geld verloren, wurde gemunkelt. Er hätte sich vor den Gläubigern auf ein Schiff geflüchtet, um dann eine Karriere als Kapitän anzustreben, fernab der Heimat. Ein Leben, das ihm draußen auf der Blutigen See gründlich verleitet worden sein sollte - von Piraten, Hummeriern, Tentakeln und grünem Pestnebel. Andere sagten, Flarion hätte seinerzeit die Perricumer Flutwelle überlebt und sich danach geschworen, nie wieder die Planken eines Hochseeschiffs zu betreten.

Ein wenig flatterhaft kam der Horasier ihm schon vor, auch opportunistisch und eitel - aber das traf vermutlich auf viele Liebfelder zu. Eine Hexe, die der Flusshexe voranflog, die als Galionsfigur eine fliegende Hexe hatte...diese Geschichte klang doch ein wenig merkwürdig. Flarion hatte ihn versichert, dass die Hofzauberin dieses Junkers Golo gestern lediglich dabei geholfen hatte, das losgerissene, wild herumflatternde Vorsegel zu bergen. Eine Hexe? Alveran bewahre, nein, eine Hexe sei sie gewiss nicht. Tatsächlich, die Magierin, die sich gerade mit Gerrich, dem anderen Eigner unterhielt, wirkte ziemlich "dunkelgrau", schon der Gewandung nach. Aber eher krank, schwächlich und blass als wirklich verdächtig. Fast schon ein wenig mitleiderregend. Hübsch anzuschauen war sie ansonsten schon, mit ihrem geheimnisvollen Lächeln.

Aus irgendeinem Grund mochte Efferdi Kapitän Silbertaler. Und sei es nur, weil die Geschichte mit dem Bankrott und der Flucht vor den "Haien" ihn an die monetären Probleme seines eigenen Hauses erinnerte, den Falswegens. Die Geschäfte ihrer Reederei waren auch schon mal besser gelaufen, vor dem Krieg, oder besser gesagt, vor der endlosen Abfolge von Schlachten, Chaos und Unheil. Der Verkauf der Flusshexe an die arroganten Warrlingers war dafür das beste Beispiel.

Da kam Flarion auch schon auf ihn zu, den Dreispitz unterm Arm, stolz wie ein Admiral an Bord einer horasischen Schivone.

"Eine gute Idee, im Hafen zu feiern" sagte Silbertaler. "Da fühlt man sich doch gleich viel sicherer."

"Ihr habt keine Ladung, sehe ich" wunderte sich Efferdi. "Fahrt Ihr tatsächlich nur auf dem Darpat, um Hochzeit zu feiern?"

"Eigentlich warten wir auf eine Ladung Pech aus den Trollzacken. Aus irgendeinem Grund gibt es eine Verzögerung in den Bergen, bei der Herstellung. Ein Fest, nach allem was man so hört."

"Pech? Hoffen wir mal, das es den Brautleuten Glück bringt" Der Priester hoffte, dass seine Worte geistreich klangen.

"Ja, das kann Haldana gebrauchen. Ihr wisst ja: Sie wird von einem verflossenen Liebhaber verfolgt, der diese Ehe unter allen Umständen verhindern will. Dafür dürfte es nun zu spät sein, aber man weiß ja nie."

"Domarian hat schon soetwas angedeutet" Falswegen nickte ernst. "Wie kann ein Mensch nur derart... travialästerlich handeln? Weiß man, um wen es sich bei diesem Verfolger handelt?"

"Ein gewisser Jodokus und seine Spießgesellen…"

"Jodokus von Baernfarn?"

"Ihr kennt ihn?" rutschte es Flarion heraus.

"Nicht persönlich", sagte Efferdi Falswegen schnell. "Aber der Name ist ja schon eher selten. Ist das nicht dieser junge Kaufmann vom Handelshaus Romerzi, der reich eingeheiratet hat, in Rommilys? Diese Irmhilde, wie heißt sie noch gleich? Sie soll bedeutend älter sein als ihr Gemahl, sagt man."

"Ja, es scheinen sehr verworrene Verhältnisse zu sein." Flarion Silbertaler blickte ehrlich empört. Auch Domarian bekam große Augen.

"Im heiligen Rommilys?" Der Akoluth schüttelte den Kopf mit der Topffrisur. "Ein Traviabund allein des Geldes wegen? Das kann ich mir nicht vorstellen, dass sich ein Geweihter unserer Kirche auf so etwas… Unseriöses einlässt."

"Aber dann ist Jodokus doch schon unter der Haube, sozusagen" Efferdi runzelte die hohe Stirn. "Warum versucht er dann mit aller Gewalt die Braut zu entführen?"

"Nun, die werte Dame Haldana ist zumindest bedeutend jünger als diese Rommilyser Kauffrau" sagte Flarion, der auch schon ein wenig beschwingt zu sein schien, vom "Trunk".

Domarian, der nur mäßig trank, wirkte völlig verstört. "Selem und Zammorrah", flüsterte er. "Dieser Mann ist wahrlich ein...ein gewissenloser Lüstling, wenn das alles stimmt. Möge die Heilige Mutter ihn gebührend bestrafen."

Efferdi trank einen Schluck, um nicht sofort antworten zu müssen. Ein junger Baernfarn, so so. Das Handelshaus Romerzi kannte er bislang als seriös und zuverlässig. Sie sollten firunsgläubig sein, aber nicht unbedingt Jagd auf Frauen betreiben. Die Geschichte roch plötzlich wieder leicht faulig, wie Hafenwasser. Als Diener des Efferd wusste er, dass das Leben unberechenbar war - die Menschen waren es erst recht. Wer konnte schon wirklich auf den Grund ihrer Seelen schauen, all ihre Untiefen ausloten?

Er blickte zur Hofmagierin, die im gleichen Moment in seine Richtung sah. War ihr Lächeln wirklich geheimnisvoll? Oder nicht vielmehr spöttisch und grausam?"

 

Verdammt du küsst mich… ich küss dich nicht.

Verdammt das stört mich… das stört dich nicht.

Verdammt ich will nicht… ich will dich nicht

Ich bin nicht Deine Braut.

 

Efferdi wurde irgendwie heiß, was nicht nur an den vielen Lampen lag. Mit einem mal kam ihn die Flusshexe wie ein Seelenverkäufer vor, im Wortsinn. Und er hatte darauf "angeheuert", wie ein junger, dummer Leichtmatrose?!! Eine Hexe, natürlich ist sie eine Hexe. Menno hatte völlig recht. Irgendetwas stimmt hier nicht. Da läuft was aus dem Ruder.

Noch ehe er einen klareren Gedanken fassen konnte, erklang ein lautes, quäkendes, durchdringendes Geräusch, vom nebligen Fluss her. Es klang wie eine Sackpfeife, auf die jemand getreten war.

 

Alrik spähte vorsichtig über die Reling und verschaffte sich einen Überblick. Er sah Haldana, auf einem Fass sitzend, die Laute schlagend und singend. In der Nähe Golo, unverkennbar an seinem schiefen Hals. Hatte er also doch überlebt. Alrik hatte es erst nicht glauben wollen. Aber jetzt sah er ihn mit eigenen Augen.

Weiter ließ Alrik seinen Blick schweifen. Sieben Laienprediger der Travia, an ihren Kutten leicht zu erkennen. Ein Geweihter des Efferd. Ein knappes Dutzend Matrosen, ein wenig mehr Dorfbewohner. Allesamt dem Trunk schon arg zugetan. Gerrich und die Hexe Sisa sah er nicht. Und was war das vorhin für ein Pfeifton gewesen? Einen weiteren Musikanten hatte er nicht gesehen.

Was würde ihn eigentlich daran hindern, an Bord zu kommen? Er sah keine wirklich Bewaffneten. Und von Priestern und Bauern aus dem Dorf war keine Feindschaft zu erwarten. Die Matrosen… sicher auch für eine Prügelei waren die wohl gerne zu haben, aber es waren keine Krieger, keine Söldner. Zudem war die Mehrheit von ihnen trunken und kaum mehr in der Lage, gerade auf den Beinen zu stehen. Der Kapitän schien halbwegs nüchtern zu sein. Aber er trug keine Waffe an der Seite. Tatsächlich schien niemand auf einen Kampf vorbereitet zu sein. Was war hier los? War die Sache für Gerrich etwas aus dem Ruder gelaufen? Wenn er sich auf ein Gefecht, auf einen Versuch zur Befreiung Haldanas einstellte, warum würde er dann Bauern und Prediger auf sein Schiff lassen? Alles irgendwie unlogisch. Es war davon auszugehen, dass mindestens die Besucher des Schiffes zwölfgöttergläubiges und rechtschaffenes Volk war. Keine Feinde. Und die Matrosen… nun, wenn man sie angriff… aber musste man das? Der einzige wirkliche Gegner, den er sah, war Golo. Klar, irgendwo im Hintergrund hielten sich wohl Gerrich und Sisa verborgen. Ungewöhnlich genug, dass der Gastgeber nicht an Deck war.

Eine Luke… eine aufklappbare Luke. Darunter war vermutlich der Zugang zu den Räumen unter Deck verborgen. Wer befand sich unter Deck? Drohte von dort Gefahr? Er wusste es nicht.

Aber eines war ihm klar. Vermutlich würde er mit einem Sturmangriff sich Menschen zu Feinde machen, die es so gar nicht wären. Einfach blindlings losschlagen, das würde vermutlich nach hinten losgehen.

Alrik drehte sich zu seinen Kameraden. Mit einer sachte wirkenden Handbewegung deutete er ihnen, dass keiner losstürmen oder angreifen solle, sondern bei nur Bedarf eingreifen sollten. Dann schwang er sich über die Reling, stellte sich aufrecht hin - Bauch rein, Brust raus, wie man es den jungen Rekruten beim Wehrheimer Strammstehen beibrachte.

Im Namen des Grafenhofs!“ rief er, nur ein wenig hochstapelnd. Er wusste, dass Jodokus in Kontakt zur Spektabilität Rattel stand, und damit vermutlich indirekt im Auftrag der Markgräfin stand. Wer würde es denn so genau nehmen? Jedenfalls würden die Dörfler und Geweihten das nicht hinterfragen, und vielleicht auch nicht die Matrosen an Bord, wer auch immer ihre Heuer zahlte. Anderseits befanden sie sich hier schon im Königreich Garetien, in der Grafschaft Schlund. Da war es besser, kein Kompetenzgerangel zu risikieren. „Der Herrschaft kam zu Ohren, dass Frau Haldana entführt wurde und hier gefangen gehalten wird. Das Schiff ist umstellt von Bogenschützen. Aber es soll niemand etwas passieren!“

Alle an Bord hielten inne beim Trinken, Singen und Reden und blickten erschrocken auf den Überraschungsgast. Golo fasste sich als erster.

Niemand wird meine Braut entführen!“ schrie Golo, einen Schritt auf Alrik zugehend. „Auch du nicht, Thronräu…“

Weiter kam er nicht. Haldana hatte mit dem Lautenspiel aufgehört. Mit einem raschen Schwung zog sie die Laute, am Hals gepackt, durch die Luft und ihrem Ehemann von hinten mit aller Kraft über den Schädel. Die Laute zersplitterte. Golo sackte wie ein leerer Mehlsack zu Boden. Sein Kopf war Blutüberströmt. Ob sie Golo nur bewusstlos geschlagen oder ihren Gatten gleich zu Boron geschickt hatte, wusste Haldana nicht.

Nein, Schurke. Du wirst mich nicht entführen, nicht zwangsverheiraten. Danke, mein Retter! Dank dem Grafenhof!“ rief Haldana und lief zu Alrik.

Instinktiv hatte Haldana die Situation so eingeschätzt, dass sie all den unbeteiligten an Bord auf klare und eindringliche Weise vermitteln musste, wer die Übeltäter und wer die Guten waren. Dass die von Golo wiedergegebene Mär der gewissenlosen Verfolger nicht zutraf, sondern dass sie bereits entführt worden war und nun auf Befreiung hoffte. Mindestens dem Efferdpriester und den Traviaakoluthen sollte das jetzt klar geworden sein.

Flarion zauderte. Sollte er die Matrosen, angetrunken wie sie waren, vor den Augen der Geweihtenschaft jemanden angreifen lassen, der sich auf die Markgräfin berief? Wenn draußen tatsächlich Bogenschützen positioniert waren? Der Schiffseigner zahlte gut und hatte nicht nach einem Kapitänspatent gefragt, aber wollte er für ihn sein Leben fortwerfen?

Die Entscheidung nahm ihm erst einmal ein angetrunkener Matrose ab. Mit einem Entermesser in der Hand stürmte er auf Alrik zu. Ob Radulf, der Matrose, nun erzürnt war über die Unterbrechung der Feier oder volltrunken nur auf Streit aus war, Flarion vermochte es nicht zu sagen. Aber die lauten, schmerzerfüllten Schreie und der verdutzte Blick auf den Pfeil, der plötzlich aus seinem Unterarm stakte, erzielte Wirkung.

Seid gewarnt. Ein gräflicher Abgesandter scherzt nicht“ Alrik sprach mit kühler, gefasster Stimme. Insgeheim war er froh, dass der Nivesische Jäger aufmerksam war. „Der nächste Pfeil trifft nicht nur den Arm, wenn hier jemand meint, sich gesetzlos verhalten zu können. Die Feier ist beendet.“ Warum sollte Alrik länger als nötig auf dem Schiff bleiben? Sein Bluff mit zahlreichen angeblichen Schützen würde sich nicht ewig ausreizen lassen. Es war besser, zu verschwinden, bevor Gerrich und Sisa eingriffen oder dieser Kapitän die Matrosen in den Kampf schickte. „Hochwürden und Ehrwürden der Kirchen, Bürger von Hausnerhaven, Matrosen! Bleibt ruhig und geht nach Hause. Ihr habt von nichts gewusst und euch nichts zuschulden kommen lassen. Am Gräflichen Hof weiß man das!“ verkündete Alrik, ganz in seiner Rolle bleibend. „Rückzug“ raunte er leise Haldana zu. „Den Rest klärt die hohe Gerichtsbarkeit!“ fügte Alrik laut hinzu. Der Rückzug sollte nicht ganz offensichtlich wie eine Flucht wirken. „Haldana, ich bringe Euch erst mal zum Medikus. Nicht, dass Euch etwas fehlt.“ Alrik blieb gelassen und förmlich, wie bei einer amtlichen Untersuchung.

Es ist besser, wir gehen auch“ raunte Efferdi Domarian zu. Laut rief er „Ihr habt gehört, was der Graf wünscht. Gehen wir zurück ins Dorf“ Der Geweihte war verunsichert, wusste nicht recht, was er glauben sollte. Nach Hexenschiff hatte ihm dieser Seelenverkäufer ja schon ausgesehen. Aber zuvorderst fühlte er sich seinen Schäfchen, seinen Hausnerhavenern verantwortlich. Wenn hier an Bord eine Keilerei oder gar ein wüstes Hauen und Stechen losging, dann wüsste er die seinen gerne sicher von Bord.

Alrik fasste Haldana am Arm und zog sie zum Steg, wo Rovik sich mit der Axt bereitgestellt hatte.

Mit einem lauten Knall schlug die aufgeworfene Decksluke auf den Planken auf. Gerrich, mit einem Tuch vor dem Gesicht kaum zu erkennen, stürmte die Leiter nach oben. „Packt die Verräter!“ rief er Flarion und den Matrosen zu. Angesichts der Verletzung ihres Kameraden Radulf zögerten die Seeleute.

Haldana und Alrik gingen den Steg herunter, ans Ufer. Rovik, grimmig blickend und die Axt zum Schlag bereithaltend, deckte den Rückzug.

Erneut ertönte der schrille Ton einer Sackpfeife.

Packt sie Euch, holt die Belohnung!“ rief Than Kaelldor in dem Augenblick da das Floß am Ufer aufgelaufen war. Seine Leute stürmten voran.

 

An Bord der Flusshexe brach das vollkommene Chaos aus. Jeder schien dem anderen vor der Nase oder den Füßen herum zu stolpern, sich anrempeln oder sonst wie behindern zu wollen. Trollberger taumelten gegen Flussmatrosen, Dorfbewohner prallten gegen Pilger. "Haltet ein, haltet ein!" rief Domarian "Dieses Fest steht unter dem Schutz der Großen Mutter" Mit seinem Stab versuchte er seine Pilger zusammenzuhalten, die tatsächlich wie ein Schwarm schnatternder Gänse wirkten. Plumpsend fiel der Erste vom Treidelkahn ins Wasser - offenbar ein betrunkener Matrose.

Ich muss meinen Schwarm endlich ins sichere Riff bringen, dachte Efferdi, und lenkte die Hausnerhavner mit dem kleinen Dreizack über den Steg.

Der verschleierte Gerrich stürmte unterdessen aufs Achterdeck und hob drohend seine Hand, in Richtung Haldana, Alrik und Rovik. "Stehengeblieben, oder...."

Haldana merkte in diesem Augenblick, dass ihr Brautkleid wenig für eine Flucht geeignet war. Vor allem war die Leihgabe etwas zu lang. Sie stolperte und fiel hin, aufs Pflaster der Uferpromenade.

Der Zwerg und der Friedwanger stellten sich schützend vor die Braut.

Ebenso Hesindian, der seinen Stab "in die Luft stellte" und seine Hände zu einem Trichter formte:

"AEOLITUS WINDGEBRAUS - wehe Staub und Rauch hinaus."

Ein helles Brausen erklang. Alriks graue Locken und Roviks Barthaare begannen zu flattern. Verblüfft prallten sie zurück.

Ein jäher Windstoß schwirrte durch die Luft und riss das Tuch von Gerrichs Gesicht. Erst jetzt sah Haldana, dass es ein Imkerhut mit Schleier war - ausgerechnet. Die Kopfbedeckung flog davon und stürzte auf der anderen Seite der Flusshexe ins Wasser. Was nun zum Vorschein kam, war keine Biene. Sondern eine groteske, schwarzbehaarte Fratze mit böse glitzernden Facettenaugen. Gerrich wollte noch etwas brüllen, stattdessen entrang sich seiner Kehle nur ein wütendes Summen.

Selbst Alrik, der im Leben einiges gesehen hatte, drehte sein Gesicht angeekelt weg.

Menno, der junge Fischer, war der nächste, der das Monster erblickte, von der wackelnden Laufplanke aus. "Da, seht nur. Da ist eine Riesenfliege auf dem Achterdeck. "

"Ja, ja, wir sollten nun wirklich machen, dass wir an Land kommen" Efferdi drehte sich um... und erbleichte. "Herr der Gezeiten, steh uns bei."

Menno schlug hastig das Efferdszeichen und ergriff das Goblinpanier.

Nach einigen Herzschlägen war überall Kreischen und Schreien zu hören. Die Rangelei an Deck wurde zur Massenpanik. Nur Flarion, der Kapitän, hatte wieder mal nichts mitbekommen. Mit gezogenem Säbel sprang er von Deck, knickte schmerzhaft auf der Hafenmole um und sank stöhnend vor Rovik auf die Knie (dem er nun geradewegs in die Augen blicken konnte).

"Was hat das alles zu bedeuten?" ächzte er matt. "Haldana, Golo, die Traumhochzeit...?" Verstört drehte er sich um, zu seinem Flusskahn, auf dem gerade die Niederhöllen losbrachen.

Im nächsten Moment traf ihn ein Schleuderstein an der Stirn, knapp unterm Dreispitz. Stöhnend ließ er die Klinge fallen, wälzte sich übers Pflaster und lag still.

Alrik hob den Rapier und sah in die Richtung, aus der das Geschoss herbei geschwirrt war. Eine buntbemalte Trollzackerin (oder war es eine Trollbergerin?) hatte den Fuß auf die Reling gestellt und lud ihre Schleuder gerade nach. Nicht ohne einen feuchten Kuss auf den Stein zu drücken. "Hiergebliem, oder die Braut ist tot" schrie sie. Zumindest deutete der Mondschatten die schwer verständliche Mundart so.

Im nächsten Moment stak ihr auch schon ein Pfeil in der Schulter. Wehklagend fiel sie an Land. Tuvok, natürlich. Sauberer Blattschuss.

Immerhin ergriffen nun sämtliche Nichtkämpfer das Weite. Selbst die Darpatschiffer flohen, in Panik. Das wirre Schlachtfeld klärte sich ein wenig auf. Ein streitaxtschwingender Hüne stürmte den Steg hinunter, geradewegs auf Haldana zu - ohne auf den nächsten Pfeil zu achten, der seine Seite durchbohrte. Tuvoks Gruß hätte genauso gut eine Eiche treffen können. Die große Axt sauste mit Urgewalt auf Rovik herunter, der im letzten Moment beiseite sprang. Funken sprühten, als das Metall ins Pflaster schlug und eine tiefe Kerbe hinterließ.

Mit gurgelndem Gebrüll griff Trolling erneut an. Alrik eilte dem Zwergen zur Seite, der diesem schwarzbärtigen Riesen nun wirklich nicht gewachsen war. Der Friedwanger parierte über Kopf - und schrie auf, als die Axtklinge abglitt und ihm den Mantel aufriss. Der Hüne ragte über ihm auf wie ein wandelnder Berg, brüllte. Der Rapier bog sich unter einem weiteren Axthieb. Alrik erzitterte und bekam im nächsten Moment den Schaft über den Kopf geschlagen. Der Phexgeweihte sah nur noch Sterne, während er über den Boden schlitterte. Mehr als benommen blieb er liegen.

Rovik griff an, versuchte dem Gegner seine eigene Axt ins Bein zu schlagen. Der Trollmensch trat ihn einfach um und grapschte nach Haldana, die sich gerade wieder aufgerappelt hatte. Ihr Brautkleid zerriss. Ohne auf ihr Strampeln zu achten, warf sie Trolling über seine muskelbepackten Schultern.

"PARALÜ PARALEIN - sei starr wie Stein!" Das kam von Hesindian, der sich mit der rechten Hand auf die linke Handfläche geschlagen hatte.

Der Riese wollte seine Barbarenaxt auf den Magus schleudern, als wäre es ein Wurfbeil - und erstarrte mitten im Ausholen. Einen Herzschlag später stand das Ungetüm als Denkmal seiner Selbst im Hafen, mit ziemlich trolligem Gesichtsausdruck.

Allerdings hielt der Kerl die Braut noch immer fest umklammert, die fluchend und schimpfend auf seiner breiten Schulter zappelte.

"Du wirst jetzt sofort an Bord der Flusshexe kommen, oder ich werde wirklich böööse" Das kam von Sisa, der Hexe, die wie eine Rachegöttin an Deck stand und mit ihrer klauenfingrigen Rechten auf die Haarsträhne in ihrer Linken deutete. "Weißt du, was das ist, Miststück? Was soll ich dir anhexen? Blindheit? Taubheit? Schmerz? Oder möchtest du lieber langsam verrotten?"

"I ka nümma un i mag nümma, Schletzä" Haldana war vor Aufregung wieder in Schwarzsychler Dialekt verfallen. "Dr´ Golo isch a gruusig Soiniggel. A Dreggsäckel."

"Holt sie euch" kommandierte Than Kaelldor. Eine Trollbergerin legte mit der Armbrust an. Das galt Rovik, der in Deckung ging. Der Pfeil flog gegen den erstarrten Trolling und prallte einfach ab, als wäre der Bursche aus Stahl.

"Vorsicht! Passt doch auf!" schimpfte die Hexe. "Tot bringt die Schlotzer Schlampe uns gar nichts mehr."

 

Katz stürmte an Land, sein Schwert und den lederbezogenen Holzschild hoch erhoben. Tschok. Geschickt wehrte er einen Pfeil ab, der den Schild allerdings zur Hälfte durchschlug. Auch Jobdarn griff an und zog den Bihänder hinter seinem Rücken hervor. Der Zwerg wich einige Schritt zurück. Der Rest der Bande hielt sich im Hintergrund, fürchtete wohl weitere Pfeile und Hesindians Magie. Aber der Angroscho merkte, dass der Magier ausgebrannt war, und seinen Zauberstab wie einen Kampfstab senkte. Bald würde auch der Rest der Meute mutiger werden. "Jodokus, wo steckst du, in Angroschs Namen?"

Der junge Baernfarn war tatsächlich am vorderen Seil hochgeklettert, an dem die "Flusshexe" festgemacht hatte. Dabei hatte er sich allerdings schwergetan, und seine Klinge sich irgendwo verhakt. Vermutlich lag es an dem Rattenschutz, die an der Festmacherleine angebracht war: eine tellergroße Holzscheibe, die Nagern das "Entern" erschweren sollte.

Um ein Haar wäre er in den schmalen, trüben Spalt zwischen Schiff und Kaimauer gefallen. Irgendwie hatte er es geschafft, sich über die Reling zu wuchten, während Alrik seine große Rede schwang. An Deck hatte er sich bereits im völligen Chaos wiedergefunden.

Der junge Baernfarn war ein Kaufmann, kein vollausgebildeter Kämpfer. Aber er fühlte sich auch nicht unbedingt als Rohalsjünger, geschweige denn Feigling. Nur hatte er keine Ahnung, mit wem er in diesem Tohuwabohu überhaupt fechten sollte (wie die Wilden des Regenwalds ein völliges Durcheinander im Dschungel nannten). Also duckte er sich erstmal hinter einem Fass. Niemand schien ihn bemerkt zu haben. Diesen Vorteil wollte er nicht aufgeben, und sich erstmal in Ruhe orientieren.

Seine "defensive" Taktik wurde belohnt. Dort lag Golo, der Schiefhals, auf dem Bauch, und rührte sich nicht. Der Kopf des Bräutigams war blutig geschlagen, die zertrümmerte Laute daneben sprach eine deutliche Sprache. Diese Hochzeit hat ein bisschen was von der Blutnacht zu Rommilys, dachte der Patrizier und lächelte grimmig.

Jodokus Blick fiel auf den Rapier, den sich der Junker umgeschnallt hatte: Das war doch Haldanas Waffe? Wo war sie eigentlich? Offenbar hatte sie sich mit Alrik, Rovik und Hesindian bereits den Steg hinunter geflüchtet. Das war eine sehr gute Idee.

Gerne wäre er es gewesen, der Haldana gerettet hatte, schon allein um seine Scharte der missglückten gemeinsamen Nacht wieder auszuwetzen. Nun, wenn er ihr ihren Rapier zurückbringen würde, konnte er bei diesem verkorksten Immanspiel vielleicht noch ein paar Punkte gutmachen. Er öffnete Golos Gürtel und zog das Schwertgehänge vorsichtig zu sich heran, hinters Fass, immer noch geduckt, beinahe liegend. Ja, das wirklich Haldanas Waffe.

"Quook". Eine hässliche erdbraune, warzige Kröte hopste ihm geradewegs vors Gesicht. "Quook". Wie war die denn das Seil hinauf gekommen?

Dann fielen ihm die Geschichten von den Zaubertieren wieder ein, die Hexen angeblich überall hin begleiteten. Schwarze Katzen natürlich, wohl auch Ratten, Krähen, Spinnen und Schlangengezücht. Und Kröten? Ja, das schleimige Kroppzeug sicherlich auch.

"Du wirst jetzt sofort an Bord der Flusshexe kommen, oder ich werde wirklich böööse." Eine kalte und herzlose Stimme.

Das war die Schwarze Sisa, die Bierhexe, die ihn ruinieren wollte. Was tat die Frevlerin da? Sie hielt eine lockige, blonde Haarsträhne in der Hand und schrie in Richtung Dorf.

"Weißt du, was das ist, Miststück? Was soll ich dir anhexen? Blindheit? Taubheit? Schmerz? Oder möchtest du lieber langsam verrotten?"

Haldana antwortete etwas, das Jodokus nicht richtig verstand. Haldana, warum suchst du nicht einfach das Weite, statt dich auf ein Streitgespräch einzulassen? Er glaubte der Seuchenhexe jedes Wort.

"Holt sie euch!" rief der Anführer der Bande, die irgendwie aus dem Nichts, aus Nacht und Nebel aufgetaucht war. Nun schoss auch noch eine Trollbergerin mit der Armbrust, in Richtung Hafen. Dem Gesichtsausdruck nach hatte sie ihr Ziel allerdings verfehlt.

Die Hexe schimpfte.

"Jodokus, wo steckst du, in Angroschs Namen"

Das war Rovik.

Das schien wiederum Sisa auf einen Gedanken zu bringen. Sie blickte in das kleine Körbchen aus Weidengeflecht, das an ihrem Gürtel baumelte. "Glibba, wo bist du?"

Die blutunterlaufenen Augen der Hexe irrten über das Deck, wo die schwankenden Laternen für ein wirres Schattenspiel sorgten. Einige waren erloschen.

Einen Moment lang wurde sie von den Pilgern abgelenkt, die zitternd neben dem Mast standen, einschließlich Domarian, ihre Hände gefaltet hatten und inbrünstig beteten, mit geschlossenen Augen. Einige Trollberger standen unentschlossen um sie herum, mit erhobenen Waffen. "Nehmt sie gefangen, wir brauchen frisches Blut. Und du, Kaelldor, schaff endlich Haldana her!"

"Sie scheint leider festzustecken" kommentierte der Than trocken.

Jodokus zählte in seinem Versteck Eins und Eins zusammen (das konnte er nun wirklich gut, bei Phex). Die lockigen Haare waren von Haldana, die kannte er aus nächster Nähe. Und Glibba saß gerade vor ihm und glotzte böse. Außerdem schien Rovik in der Klemme zu stecken. Er allerdings auch, wenn er sich die Übermacht auf dem Deck so ansah. Es war ohnehin ein Wunder, dass er noch nicht entdeckt worden war.

Die Kröte, die konnte ihnen vielleicht nützlich werden. Kurz entschlossen griff er nach Glibba - und schrie auf, als das glitschige Ding seine Haut verbrannte.

"Da ist noch einer", brüllte ein Trollberger.

 

"BLITZ DICH FIND - werde blind" Der Zweihänder-Schwinger schrie auf, hielt mitten im Angriff inne - und bekam von Hesindian noch einen Schlag mit dem Zauberstab verpasst, in die Magengrube.

Rovik wehrte sich tapfer gegen den Schildträger, der aber ein erfahrener Fechter zu sein schien, und ihn mit dem Schildstachel ebenso zusetzte wie mit dem Schwert. Stahl klirrte gegen Stahl, beide kämpften verbissen. Zum Glück behinderte den Großling der Pfeil, den ihm Tuvok durch den Schild geschossen hatte - und Haldana, die ihn von hinten festhielt. Rovik nutzte seinen Vorteil, und griff mit dem Beil an. Katz wehrte ab und schlug nach Haldana, die wie eine Wildkatze zappelte, auf der Schulter des Hünen. Fluchend ließ Katz den Schild los und musste erneut einen Tiefschlag des Zwergen parieren. Beide kreuzten die Klingen, wichen zurück, griffen erneut an. Rovik hatte Pech, seine Axt verkeilte sich mit der gegnerischen Parierstange. Ein Ruck, und der Angroscho war entwaffnet. Die Axt klirrte zu Boden. Katz holte zum entscheidenten Hieb aus, ein paar Fingerbreit zu weit. Haldana bekam den Schwertarm zu fassen und biss herzhaft hinein. Schreiend ließ der Ai´Than sein eigenes Schwert fallen.

Rovik hastete auf seine Axt zu, griff danach - und wurde im nächsten Moment von Katz umgerissen, der ihn am Bart packte und einen Dolch zückte. Strampelnd versuchte sich der Zwerg zu befreien. "Für dich reicht die kleine Klinge" knurrte sein Angreifer, der auch nicht allzu groß war, aber kräftig.

Irgendwie bekam Rovik die Gabel in der Lederscheide des Angreifers zu fassen, und stach zu, geradewegs in die buntbemalte Wange des Trollbergers. Farbe vermischte sich mit rotem Lebenssaft. Schreiend fiel der Räuber zur Seite. Blut sprudelte aus seinem Gesicht hervor, als er die Gabel heraus riss.

Hesindian trieb unterdessen einen Spitzbart zurück, der ihn mit einer Ochsenzunge hatte durchbohren wollen - und nun feige die Flucht ergriff. Im nächsten Moment traf den Magier schmerzhaft ein Schleuderstein am Bein. Stöhnend sank er in die Knie. Roburn kehrte hämisch grinsend zurück und schrie seinerseits auf, als ihm die Zwergenaxt den rechten Oberschenkel aufriss. Allerdings musste sich Rovik nun dem Zweihandkämpfer zuwenden, der sich von der Blendung erholt hatte und ihn mit dem Bihänder zu zerteilen versuchte. "Schöne Waffe" brummte der Zwerg, als er die gewaltige Klinge in den Wehrheimer Block nahm, und meinte es sogar ehrlich. Im nächsten Moment sah er den Spitzbart, der sich mit den Dolch in seinen Rücken zu schleichen versuchte.

Der Zwerg sprang zurück, um Abstand zu den beiden Gegnern zu bekommen. Ein Pfeil schwirrte vorbei, hinaus in die Nacht. Diesmal hatte der Jäger schlecht gezielt.

"Jodokus, würde sich der Herr endlich mal herbeibequemen?"

 

Der "Herr" hatte gerade andere Probleme. Mit viel Glück bekam Jodokus Glibba am Hinterbein zu fassen, wo ihre ätzende Haut nicht so brannte. Die Kröte knurrte und schnappte. Der Baernfarn verbiss den dämonischen Schmerz, den das Hautgift verursachte. Als ob er in ein Büschel Feuernesseln gelangt hätte.

Die Hexe starrte ihn ebenso entsetzt wie hasserfüllt an, und überlegte sich sicherlich schon einen üblen Fluch. Das Rapier in Jodokus Rechten ließ sie einen Moment zögern. Aber der Baernfarn wusste, dass sie ihm gleich ein "Donnerwetter" bereiten würde. Vor allen Dingen würde er die Schmerzen nicht mehr lange aushalten.

"Du willst deine Kröte wieder haben? Hol sie dir!" Mit voller Kraft schleuderte Jodokus das empört fauchende Vertrautentier über Bord, in Richtung Darpat, in dem es pflatschend verschwand. Es war fast schon eine Verzweiflungstat, aber sie funktionierte erstaunlich gut. Sisa schrie auf und streckte fordernd die Hand aus. Im nächsten Moment schwirrte ihr Besen herbei. Die Hexe schwang sich auf ihr widernatürliches Reittier und sauste hinaus auf den Fluss, um Glibba zu retten. Jodokus hatte keine Ahnung, wie gut Kröten schwimmen konnten. Aber das Wasser war kalt und die Strömung trotz des Niedrigwassers sicher nicht zu unterschätzen.

Sisa schien ähnliche Gedanken zu hegen: "Glibba, mein Liebling! Halt aus, ich rette dich..."

Wo war eigentlich Gerrich? Ah. Der Hexer von Rommilys war gerade dabei, mit einer Axt auf die hintere Leine einzuschlagen.

Da will wohl jemand die Fliege machen.

Jodokus blickte auf seine linke Hand, die mit dicken Wasserblasen gesprenkelt war, und verzog das Gesicht.

Nun drangen gleich drei Trollberger auf ihn ein. Jodokus wehrte die Hiebe und Stiche mehr schlecht als recht ab. Zum Glück behinderten sich die Angreifer in ihrem Übereifer gegenseitig. Ein Räuber zerschlug mit dem Morgenstern eine Lampe, seine Kumpanin durchschlug mit dem Säbel eines der Taue am Mast. Jodokus unternahm einen Ausfall (im schnellen Vinsalter Stil) und drängte das Trio zurück. Er packte das durchtrennte Seil, schwang sich einen Moment wie ein Moosaffe hin und her und sprang an Land.

Rovik kämpfte dort fluchend mit dem Zweihänder-Mann, dessen überlange Klinge immer wieder aufs Pflaster schlug. Hesindian hatte sich wieder aufgerappelt und lieferte sich ein Gefecht mit dem Spitzbart, der eine Ochsenzunge schwang. Jodokus sprang dem Magier bei, der (wie sein Gegner) stark hinkte, und verpasste dem Dolchkämpfer noch einen weiteren Stich, diesmal in den Arm. Der nahm nun endgültig Reißaus.

Der Ai´Than blutete unterdessen seinen Telt voll, presste die Hand aufs Gesicht und tastete nach seinem Kurzschwert.

Der Baernfarn machte kurzen, wenn auch unrondrianischen Prozess. Er durchbohrte Roviks Kontrahenten von hinten und stürzte sich auf den "Katzbalger". Beinahe hätte er es bereut, denn der Kerl verstand das korgefällige Handwerk. Zum Glück eilten Jodokus nun wiederum der Magier und der Zwerg zur Hilfe. Das genügte Katz, um den Rückzug anzutreten. Mit geschickten Finten, Hieben und Stößen versuchte er sich von seinen Gegnern zu lösen. Hesindian fiel tatsächlich stöhnend zurück und hielt sich am Zauberstab fest, wie an einer Krücke. Rovik hielt an, als ein Steingeschoss vor seinen Füßen abprallte.

Die Trollberger an Bord des Schiffes schienen jetzt ebenfalls genug zu haben. Sie kappten die zweite Festmachleine und drückten die Flusshexe vom Ufer weg. Katz schaffte es mit einem Sprung, der seinem Spitznamen alle Ehre machte, gerade noch bis zur Bordwand. Ein Pfeil bohrte sich eine Handbreit neben ihm ins Holz. Kaelldor packte ihn am Schlaffittchen und zog ihn an Deck. Selmia hatte dort ihre Armbrust nachgeladen und legte an. Einen Moment lang war sie sich nicht sicher, auf welchen der Verfolger sie zielen sollte. Der Laufsteg rutschte rumpelnd aufs Pflaster.

Die Armbrusterin entschied sich für Jodokus. Der Baernfarn wuchtete den Steg hoch, wie einen Setzschild, und suchte dahinter Deckung. Der Bolzen schlug mittig ins Holz.

Träge taumelte die "Flusshexe" auf den nachtschwarzen Darpat hinaus, angetrieben von Stakstangen. Die sieben Pilger und Domarian schienen erst jetzt zu begreifen, dass sie gerade verschleppt wurden, und schrieen um Hilfe. "Trolling", brüllte Selmia, die Schützin. Nach und nach verloschen die Lichter an Bord.

Dann trieb das Treidelschiff endgültig in den Nebel und die Dunkelheit davon. Als Jodokus ans Darpatufer stürmte, schwamm dort nur noch eine blonde Haarsträhne im Wasser.

 

Ein wirres Durcheinander hatte die Hausnerhavener erfasst. Hochwürden Falswegen hatte alle Mühe, seine Schäfchen zu beruhigen. Auch wusste er immer noch nicht so ganz, wie er das Vorgefallene einordnen sollte. Nur eines war ihm klar: Der Schiffseigner, dieser Gerrich, musste mit finsteren Mächten paktieren. Er würde das dem Landesherrn berichten müssen. Und den Tempeloberen. Würde er sich selbst verantworten müssen? Immerhin hatte er das unheilvolle Schiff noch eingeladen? Nun ja, es war seinen Schäfchen Efferd sei es gedankt nichts geschehen, alle waren wohlbehalten von Bord gekommen. Anders als die Pilger. Der Geweihte sah dem Schiff nach. So wie es aussah, hatte das Befreiungskommando zwar eine entführte Braut befreit, aber dafür waren jetzt sieben rechtgläubige Seelen in Gefahr.

Ihr müsst die Pilger befreien“ bat Falswegen Alrik flehentlich. „Ihr habt doch das ganze Schlamassel verursacht. Sieben Seelen sind in Gefahr!“

Alrik reagierte nicht gleich.

Wer seid ihr eigentlich?“ fragte der Geweihte hinterher.

Los, fesselt den Riesen!“ unterbrach Hesindian, ehe Alrik antworten konnte. „Die Versteinerung hält nicht ewig. Reden können wir später“

Alrik folgte seinem Hofmagier und winkte den Geweihten hinterher. Er war froh, nicht gleich antworten zu müssen. Immerhin müsste er seine kleine Hochstapelei vorher plausibel erklären oder auch in einer Flut von Worten und Informationen vergessen machen. Ein wenig darüber nachzudenken und sich einen Plan zu machen, war da vorteilhaft. „Kommt mit, Hochwürden“, rief er.

Holt´s mi aussi“ schrie Haldana mit einem Anflug von Panik in der Stimme. Der versteinerte, am Ufer stehende Grobian hatte sie immer noch über die Schulter geworfen, mit dem Arm und die Hüften geschlungen, so dass sie sich weder vorwärts noch rückwärts aus der steingewordenen Umklammerung befreien konnte. Die Aussicht, Geisel eines unbekannten, muskelbepackten Wüterichs zu sein, behagte ihr nicht. Jodokus griff nach einem Seil und eilte hinzu.

Doch es war zu spät.

Vom steinernen Grau wechselte die Farbe des Trollbergers wieder ins hautfarbene rosa.

Ein lautes Brüllen.

Verschwindet, alle, oder ich bringe das Weib um!“ die laute Bassstimme des Riesen überschallte alles Gerede und Gelärme der Menge rings um ihn. Ein Tritt nach Jodokus, der, mit dem Seil in der Hand, vor ihm stand, holte diesen von den Beinen.

Mit der rechten Hand hielt Trolling drohend die Axt erhoben.

Haldana schrie. Der unbändigen Kraft des riesenhaften Mannes hatte sie nichts entgegen zu setzen.

Mit gespanntem Bogen und aufgelegtem Pfeil trat Tuvok dem Hünen in den Weg. „Lass sie los. Dann magst Du Deiner Wege ziehen.“

Ha“ machte Trolling. „Hältst mich für blöd, wa? Du kannst schießen so viel du willst, ich habe genug Zeit, die Metze zu töten. Also verpiss dich, Schlitzauge!“ Mit einem weiteren Tritt bedachte er Jodokus, der sich einen Schmerzlaut hervor brachte und sich krümmte, dann aber rasch den Abstand zu dem Wüterich vergrößerte.

Haldana zappelte und versuchte sich aus der Umklammerung des Riesen zu befreien. Aber dieser hielt sie nur noch fester umfasst. Die Schlotzerin japste nach Luft. Wütend biss sie ihrem Peiniger in die Seite. Dieser schlug mit der Rückseite der Axt nach ihr, was eine blutende Platzwunde auf der Stirn nach sich zog.

Ich gewähre Dir freien Abzug. Gib die Gefangene frei, und Du kannst gehen.“ Wiederholte Alrik, ein wenig förmlicher als zuvor Tuvoks Aussage. Auf einen Gefangenen kam es ihm nicht an, und vielleicht hatte er als Edelmann mehr Autorität als ein nivesischer Jäger, hoffte er. Doch er hoffte vergeblich.

Wir können um sie kämpfen. Gewinnst du, bin ich Dein Gefangener. Gewinne ich, gehört die Maid mir, dann verlasse ich mit ihr Euer Dorf.“ Trolling schaute Alrik herausfordernd an. Der Streuner wusste, dass er in einem rondragefälligen Zweikampf gegen diesen Hünen keine Chance haben würde.

Du bist nicht in der Position, Forderungen zu stellen!“ Alrik bemühte sich, unbeeindruckt zu bleiben. „Auf einen Wink von mir wirst du von Pfeilen durchbohrt. Also gib auf.“

Trolling lachte. „Nein. Du Feigling. Kämpf mit mir oder zieh Leine. Anders als Du habe ich keine Angst vor dem Tod. Aber Dich nehme ich mit über das Nirgendmeer, Angsthase. Und Dein blondes Liebchen hier auch. Jetzt schleich Dich oder kämpfe!“ Haldana zappelte noch immer auf der Schulter des Hünen. Trolling beachtete sie nicht weiter. An Kraft war die Gefangene ihm ohnehin unterlegen. Haldana griff mit der Hand an ihren Stiefel. Wieder zappelte sie.

Halt Still, Metze, oder ich schlage Dir die Zähne aus!“ herrschte Trolling sie an. Er hatte nichts bemerkt davon, was Haldana plante. Anders als Alrik, dem die kurze Klinge im Stiefel der Bardin nicht entgangen war. Ein wenig Ablenken noch, dachte der Streuner. Nur noch ein wenig. Und dann rasch reagieren. Er nickte Tuvok kaum merklich zu. Offenbar hatte auch der Nivese das Messer Haldanas gesehen.

Nun, mir scheint, du schätzt die Lage falsch ein. Mein Angebot ist großzügig. Ganz egal, ob du Angst vor dem Tod hast oder nicht.“ Begann Alrik weiter auf den Krieger einzureden. „Also sei vernünftig, wenn Du nicht in Scheibchen geschnitten und durchpikt wie ein Al`Hanischer Fleischspieß enden willst, dann hör jetzt besser auf mich. Meine Geduld hat auch ihre Grenzen, also nimm mein Angebot lieber an, bevor es zu spät ist.“

Plötzlich spuckte der Hüne Blut. Noch ehe dieser bemerkt hatte, dass ein Messer in seinem Hals steckte - das Messer der Matrosin Mimm, das Haldana aus dem Stiefel gezogen hatte - gab Alrik dem Nivesen einen Wink. Nicht dass es dazu bedurft hätte. Der Pfeil des Jägers sirrte bereits von der Sehne und traf den Krieger in die Brust. Auch Alrik sprang vor, mit der Klinge in der Hand, und stach zu.

Der Riese erschlaffte. Blut spritzte in Fontänen aus der offenen Halswunde. Kraftlos sank der Krieger zu Boden. Haldana - das weiße Hochzeitskleid nunmehr mit roten Blutspritzern übersät, befreite sich aus der Umklammerung und rappelte sich auf.

Das ist jetzt schon das zweite Kleid, das du so einsaust“ gab Alrik lapidar von sich, reichte Haldana die Hand und half ihr auf. „Naja“ sagte er weiter mit einem Blick auf Trolling. „Er hat es so gewollt. Ich habe ihm angeboten, zu gehen.“

Der Kämpfer röchelte noch ein wenig, dann erstarb das Geräusch. Noch immer sickerte Blut aus dem Hals hervor, es wurde jedoch langsam weniger. Alrik besah sich die Wunde mit Kennerblick. Entweder, die Bardin hatte einfach nur Glück gehabt, so gut zu treffen, oder sie hatte genau gewusst, wohin sie stechen musste. Jedenfalls war ihrem Peiniger keine Zeit mehr geblieben, seine Ankündigung, die Gefangene zu töten, umzusetzen. Dazu hätte es auch nicht einmal mehr Tuvoks Pfeil und Alriks Klinge bedurft.

Haldana selbst war kurz sprachlos, stammelte schließlich ein paar Satzfetzen vor sich hin. Dann umarmte sie den treuen Nivesen. Ein paar Tränen traten aus den Augen, die aber rasch weg gerieben wurden. Die Bardin fasste sich wieder.

`s zweite Klid… d´r zweite Tote. Un all`s innerhalb vo zwei Tag´. V´lleicht au drü Tote? I wois nit, ob da Golo no lebt. Langsam lern´ i des Kämpf`n.“ Haldanas Stimme klang jetzt wieder freundlich und unbeeindruckt, als habe sie über zwei bis drei Kleider und Schuhe gesprochen, nicht über die gleiche Anzahl Toter. Wieder war Alrik überrascht über die Weggefährtin. Aber er rief sich in Erinnerung, dass eine Sängerin gelernt haben musste, ihre Stimme zu kontrollieren. Wie es innerlich in der Bardin aussah, hatten die kurzen Tränen zuvor verraten.

Ähm… nun… Vielleicht hättet ihr die Güte, zu erklären, was das bedeutet?“ wagte Efferdi Falswegen zu fragen. „Es sind noch Gefangene, unschuldige Gefangene an Bord. Ich hoffe, der Graf nimmt sich ihrer an? Und wer seid ihr?“

Gewiss. Wir werden uns darum kümmern. Die Befreiung der Entführten Dame Haldana verlief leider nicht so reibungslos wie gewünscht.“ Alrik war wieder ganz der gefasste Gesandte, welches Grafen nun auch immer. „Wir müssen diesen Halunken ohnehin hinterher und sie ihrer gerechten Strafe zuführen. Paktierei und Giftmischerei sind schwere Verbrechen. Ihr habt gesehen, wer oder auch was sich hinter dieser Maske verbirgt?“

Gewiss“ stotterte der Geweihte. „Jedenfalls habe ich so viel mitbekommen, dass der Reeder ganz sicher nichts mit efferdgefälliger Flussschiffahrt im Sinn hat. Auch wenn ich nicht weiß, was das dann mit der Hochzeit auf sich hatte.“

Ja, das ist mir auch ein Rätsel.“ Stimmte Alrik zu. „Von der Gefangennahme wussten wir, und daher sind wir der Dame Haldana zu Hilfe gekommen. Die anderen Pläne des Paktierers, die Hochzeit ebenso wie das, was er sonst noch plant, sind noch nicht zur Gänze enthüllt. Ich kann mir auch nicht im Geringsten erklären, warum er die Gefangene Dame Haldana verheiraten wollte. Wir waren von einer Entführung und Geiselnahme ausgegangen. In der Tat, es Bedarf noch weiterer Investigation. Und seid unbesorgt um die Pilger. Wir haben das im Blick und werden das uns Mögliche tun.“ Alrik vermied es jetzt tunlichst, weiter auf das Thema „Graf“ einzugehen. Er wollte sich nicht mehr als nötig aus dem Fenster lehnen. Zumal offenbar anderes, wie die Befreiung der Pilger, dem Geweihten wichtiger war. Nun, dann sollte das auch so bleiben.

Ja… seltsam. An besonderer Traviafrömmigkeit mag es kaum gelegen haben, dass man die Gefangene vorher, ähm, heiratet.“

Sich`r nit, Hochwürden.“ Warf Haldana ein. „I denk` s`is an d´r Zit, dass i des erklär´. Au mine B`freier, di nit all´s g´wisst hän. ´S ging um Erbschlicheri. Dies´r Schiffseign´r, en gewiss´r Gerrich aus dem Sichl´r Ad´lsg´schlecht der Friedwang´n, hat d´rnach g´strebt, sich die Sich´lmark zu unterwerfen. Nun… um sine Hüsmacht z´ stärk´n hat er sei`n Nachfahr´n, dies´n Golo vo Friedwang, mit mia verhirat´n woll´n. Er hätt´ sich uf dise Weis´ mi Erb´ unt´r de Nag´l reiß´n woll´n. I… bin Adginna Haldana vo Schnayttach-Binsböckel, B´ronin zu Schlotz.“

Potzblitz“ rief Rovik überrascht aus, dessen Rufen aber im allgemeinen Raunen unterging. Alrik und Jodokus, die als Boltanspieler und Händler es gewohnt waren, sich keine Gefühlsregungen anmerken zu lassen, wahrten die Fassung und ließen sich keine Überraschung anmerken. Alrik war sich noch nicht einmal sicher, ob er selbst der Ausführung seiner Kampfgefährtin glauben sollte. Immerhin würde das die Hochzeit erklären. Oder führte die Bardin das von ihm angefangene Vas-Banque-Spiel weiter und begann selbst mit Hochstapelei? Wenn sie das tat, dann war sie jedenfalls sehr überzeugend.

Nu, i war inkognito uf d´r Reis´, unt´r and´rem ging es au d´rum, einige merkwürdigi und etwaig´ g´fährlichi Begebehit´n in Romm´lys üfzuklär´n. Ab´r i wor zu üvorsicht´g un´ bi dem Schurken in´d Händ´ g´falln, der hint´r all dem stande g´het un den ihr z´vor g´si hät. Ab´r… de heil´gen Zwölfe´ si´s g´dankt, i hät G´fährten g´hät, uf di i mi v´rlass´n konnt´. G´fährten, di koa Wagnis g´scheut haben, mi zu b´freie. Un ebbe a so werd´n wir kein Wagnis scheu´n, di unschuldigi Pilg´r zu b´freie´.

Do sagt, Hochwürd´n. Während mini G´fangenschaft häb´ i g´hört, wie dies´r Schurke en Ort mit Nam´n Kurgasberg erwähnt het. ´S mag si, dass dies´r Ort ihr Ziel is. Könnt ihr ebbs sang üb´r dies´n Ort?“

Alrik zog leicht eine Augenbraue hoch. So langsam glaubte er tatsächlich, die mitreisende Bardin war in Wahrheit eine Adelige der Sichellande, nach all den seltsamen Wendungen.

Nun, mit dem Schlotzerland kannte er sich nicht so gut aus. Schlotz gehörte bereits zur Grafschaft Wehrheim, nicht zum Sichelhag. Obwohl die Menschen dort von Dialekt und Tradition mehr der Sichel als der alten Garnisonsstadt verbunden waren. Aber das war das alte Schicksal der Schwarzen Sichel. Dreigeteilt zwischen den Provinzen Tobrien, Weiden und Darpatien, inzwischen viergeteilt, da Darpatien in die Rommilyser Mark und die Rabenmark zerfallen war. Und darin noch verteilt auf verschiedene Grafschaften. Schlotz. Aber der Name der Thronerbin war richtig genannt. So mochte es wohl doch stimmen, was die Bardin sagte? Oder nicht? Kannte sich die Bardin nur gut aus? Als ortskundige Schwarzsichlerin war das gut möglich. Alrik wusste, dass die Baronmutter seiner südlichen Nachbarbaronie Gallys die Schwester der dortigen Vögtin war. Dieser Vögtin war er zwar auch noch nie selbst begegnet, aber es konnte schon sein. Oder nicht? Ihrer angeblichen oder tatsächlichen Tante, Valyria von Baernfarn, sah Haldana jedenfalls nicht ähnlich. Aber was musste das schon heißen?

Kurgasberg… ja.“ Stammelte Falswegen, sichtlich beeindruckt vom hohen Besuch, der sich unerwartet in Hausnerhaven eingefunden hatte. „Ein alter Bergwerksort in den Trollzacken. Eine halbe Tagesreise flussabwärts. Auf dem anderen Ufer. Das ist aber eine Geisterstadt. Dort wohnt niemand mehr. Also… jedenfalls soweit mir bekannt ist. Aber sicher ein brauchbarer Rückzugsort für jemanden, der unheilige Ränke schmiedet. Sicher, den Weg dorthin kann ich Euch weisen.“

Des is sähr gut.“ fuhr Haldana fort. „B´schribt uns de Weg so gut ihr könnt… un, Hochwürd´n. Danke. Ihr häbt mir Mut g´geben währ´nd min`r G´fangenschaft. ´s war mir e Ehr` un e großi Freud, Euch zu´ b´gegnen.“

Der Geweihte nickte, leicht verwirrt und zugleich sich geehrt fühlend. „Die Ehre ist ganz auf meiner Seite, Hochgeboren. Nun, ich hatte bei dieser Hochzeitszeremonie von Anfang an ein seltsames Gefühl. Nicht zuletzt wegen Eurer Lieder. Nun, ja, jetzt klärt sich einiges. Aber ich… warum habt Ihr nichts gesagt?“

I het Angst g´het, d´s de Schurke v`r G`weihte un unschuldigi Lüt nit Halt macht. Ohni B´waffnete het ihr keini Schanz g´het gege de. Un alleini hät i au nit g´wusst, was i het tun soll´n. Di Pilg´r und ihr, Hochwürd´n, seit ja keini Krieg´r.“

Dein Rapier, liebe Kusine.“ mischte Jodokus sich ein und hielt die schlanke Klinge Haldana mit dem Griff zu ihr gewandt hin. „Damit du nicht wieder eine Laute zerschlagen musst, wenn es gegen unwillkommene Liebhaber geht. Ich hätte Dich erkennen müssen. Auch wenn es Jahre her ist, dass wir uns zum letzten Mal gesehen haben. Wir waren noch Kinder. Verzeih mir, Haldana.“ Beide, Haldana und Jodokus, wussten, dass der Händler nicht für das Nichterkennen der Kusine um Verzeihung bat.

Wenn i mi als Vagantin tarn´, muss i mi nit wund´rn, wenn i so b´handelt werd´. Und i bin nit nachtr`g´nd. Lass´ gut si.“ Für Haldana war damit alles gesagt, was zu sagen war. Wie konnte sie Jodokus für das verantwortlich machen, was er nicht gewusst hat. Sie selbst hatte mit ihm und seinen Gefühlen gespielt, hatte nicht nein zu ihm gesagt, hatte ihm die Wahrheit vorenthalten. Es war ihre eigene Schuld, was geschehen war.

Ich habe auch etwas für Dich.“ warf Tuvok ein, der, anders als Haldana, dem Stadtadeligen noch nicht verziehen hatte. Ohnehin war es leichtfertig von Haldana, nicht Entschädigung oder Sühneleistung zu fordern. Haldanas Mutter würde das sicher anders sehen als die ungestüme Tochter. „Bei den Pferden. Ich habe Deine Laute mitgenommen. Die klingt ohnehin besser als das billige Instrument auf dem Schiff. Zum Glück hast du die nicht auch zerschlagen.“

Wir sollten ohnehin zu den Pferden.“ sagte Hesindian. „Kurgasberg. Immerhin haben wir eine Spur.“

Ja… aber bei Dunkelheit dem Schiff nachzueilen macht wenig Sinn.“ Warf Alrik ein. Außerdem… wir müssen uns vorbereiten für eine Strafexpedition in die Berge. Wir sind von einem kurzen Ritt und einer kurzen Befreiung ausgegangen. Für eine längere Unternehmung brauchen wir Ausrüstung. Seile, Proviant. Das können wir hier sicher bekommen, in Hausnerhaven. Wir nehmen die Verfolgung ausgeruht beim ersten Praiosschein auf. Jodokus, kannst du die Pferde holen und im Hausnerhaven für die Nacht unterbringen?“ Der Händler nickte, auch wenn ein Teil von ihm jetzt lieber bei Haldana geblieben wäre. Aber andererseits tat es ihm sicher auch gut, etwas Zeit zum Nachdenken zu bekommen. Die Bardin war seine Kusine Haldana. Das änderte einiges. Das hätte er zuvor niemals vermutet.

Was soll mit dem Kapitän geschehen?“ Efferdi Falswegen deutete auf den langsam zu sich kommenden Flarion Silbertaler, der mit seinem Verletzten Bein nicht aufstehen konnte.

Hmm“ brummte Alrik. „Haldana, was meinst du. Wusste der Kapitän über Gerrichs Verbrechen Bescheid? Hat er mitgemacht? Oder ist er nur ein nichtsahnender Seemann wie die Matrosen?“

I weiß´ es nit.“ Die Bardin - vielmehr die Baronin - schüttelte den Kopf. „I mein´ er hat mi anständ´g b´handelt an Bord. I glaub´, er hat au keini Pakt oder so mit di unheilig´n Entität´n g´schloss´n. Ab´r a wen´g hat er wohl scho g´ahnt. I mein er war au scho mal in Kurgasb´rg. Kann gut si, dass er ebbs weiß.“

Wir werden ihn verhören und dann entscheiden. Hesindian, übernimmst du das mit Tuvok? Und du, Rovik, organisiere Proviant und Ausrüstung für die weitere Verfolgung. Und ich mache uns ein Zimmer in Basils Trunk klar. Wir haben morgen einen langen Ritt vor uns und eine anstrengende Verfolgung. Wir müssen ausgeruht sein. Vor allem Haldana braucht dringend etwas Ruhe.“

Der Magier und der Nivese nickten. Auch der Zwerg machte sich an seine Aufgabe.

Efferdi Falswegen fragte nicht weiter nach dem Vorgefallenen oder gar dem Auftrag des Grafen nach. Offenbar war er vom Titel und Namen Haldanas sowie der Zusicherung, sich um die entführten Pilger zu kümmern, ausreichend beruhigt. Da wollte Alrik auch keine weitere Neugier wecken. Der Zauber seines Hofmagiers, der Gerrich die Maske vom Kopf gerissen hatte, hatte für alle den eindeutigen Beweis erbracht, dass Alrik und die seinen hier auf der richtigen Seite standen. Auf Hesindian war eben Verlass, dachte Alrik. Er nickte dem Geweihten freundlich zu, nahm dann Haldana bei der Hand und ging zur Herberge. Der Friedwanger wusste, dass er - vielleicht auch aufgrund seines Alters - jetzt vielleicht der richtige war, mit dem die junge Bardin reden konnte. Und reden, das würde sie jetzt brauchen, nach all dem, was vorgefallen war. Gestern noch hatte die Bardin sich nur um ein missglücktes erstes Mal gesorgt. Seitdem waren Entführung und Zwangsheirat hinzu gekommen, dazu ein Scharmützel mit mindestens einem weiteren Toten, mit dem Haldana ihr Gewissen belasten musste. Das würde manchen Fünfzigjährigen überfordern. Wie sollte hingegen ein Mädchen damit umgehen, die bis vor zwei Tagen noch eine nahezu kindliche Unschuld ausgestrahlt hatte?