6. Kapitel - Ankunft in Gernatsborn
6. Kapitel
Ankunft auf Burg Gernatsborn
Gernatsborn, 5. Praios 1042
Eine kurze Weile später waren die sechs wieder im Sattel und ritten weiter. Obwohl es eigentlich nicht mehr weit sein konnte bis zum Waldrand, bis nach Schwaz, schien der Weg sich durchaus noch hinzuziehen. Tuvok hatte jetzt wieder die Führung übernommen.
Westlich von Nengarions Hütte standen die Bäume dicht, und durch das undurchdringliche Blätterwerk drang kaum ein Praiosstrahl auf den Boden. Obwohl Praios sicher hoch am Himmel stand, schien es, als reite man durch die Dämmerung. Aus welcher Richtung Praios schien, war ebenfalls nicht auszumachen. Für die Gefährten war es nicht zu verstehen, wie Tuvok die Richtung halten konnte, zumal es immer wieder Abzweige gab. Woher wusste der Jäger, welchem Pfad er folgen sollte? Er selbst schien keinen Zweifel zu haben.
Nach einer guten Weile - aber wer vermochte die Zeit schon zu schätzen - stach ein leichter Geruch nach Rauch in die Nasen der Reiter, der mit der Zeit stärker wurde.
“Das sind die Kohlenmeiler von Schwaz” erläuterte der Jäger. “Es ist nicht mehr weit.”
Tatsächlich erreichte man kurze Zeit später eine Lichtung, auf der drei Meiler aufgeschichtet waren. Die Glasbläser von Schwaz benötigten die Kohle für ihre Schmelzöfen.
Und wieder nur einen kurzen Ritt später war der Waldrand erreicht. Das Dorf Schwaz lag in einem sich gen Efferd hin öffnenden Einschnitt im Wutzenwald. Von hier an verlief der weitere Weg, der nunmehr klar aufzufinden und ohne weitere Hindernisse, sich dem von Hügeln eingerahmten Tal des Gernat näherte.
Als die Gruppe der Reisenden das Dorf am Wutzenwald passierten, wurden die Schlotzer Vögtin und die junge Baronin gleich erkannt, das Schwazer Volk eilte aufgeregt herbei, woher die Baronin so plötzlich gekommen sei, und der Dorfschulze wollte die hohen Damen und Herren zu einem bescheidenen Mittagsmahl einladen. Haldana winkte jedoch dankend ab, denn sie wollten Rasch Gernatsborn erreichen, und so setzten sie nach nur einer kleinen Erfrischung die Reise fort. Der wohl einzige Weg, der sich hier offenbarte, war den Einschnitt des Waldes gen Efferd hinaus zu folgen, Tuvok führte voran.
Nach wenigen Meilen öffnete sich der Wald und offenbarte eine karge Hügelkette, die sich in nordwestlicher Richtung aus dem Wald hinaus ragte, welche die weitere Sicht versperrte. Die Hänge der Hügel waren mit teils hohem Gras bedeckt, nur einzelne Bäume prägten das Bild. Hin und wieder ragte auch nackter Fels aus dem Erdreich hervor. An einer Stelle an einem leicht nördlichen Hang eines Hügels schien es auch einen Blitzschlag mit Brand gegeben zu haben, denn mehrere Bäume waren verkohlt und der Boden war statt Gras mit Asche bedeckt.
Mit jedem Schritt, den sie sich vom Wutzenwald entfernten, schien die Luft wärmer zu werden. Ein steter heißer Wind blies über die Hügel und wies die Kühle des Waldes in ihre Schranken. Auch waren sie nun ohne Schatten der Bäume erbarmungslos der Praiosscheibe ausgeliefert. Der Schweiß tropfte von ihren Stirnen
Eindeutig war hier ein Trampelpfad zu erkennen, der über die Hügel hinauf und weiter nach Westen führte. Gerade als sie am Fuße die Hänge ankamen, nahm Tuvok an Tempo zu, als ob er etwas rasch erreichen wolle. Offensichtlich erklomm der Jäger einen der Hügel über einen Felsen, was offensichtlich vom Pfad abzweigte, da dieser etwas zwischen zwei Hügelkuppen durchführte und keine gute Sicht auf die weitere Reise ermöglichte.
An der Spitze des Felsens angekommen blickte er in die Ferne und rief etwas außer Atem “Euer Hochgeboren, seht das Gernatstal und die Burg!” Tatsächlich war der Jäger schon mehrere Jahre nicht hier soweit westlich von Schatz und des Wutzenwaldes gewesen, sodass ihn auch eigene Neugier angetrieben hatte.
Die junge Baronin ließ nicht lange auf sich warten, sie wollte ja ihr Lehen sehen können, stieg von ihrem Ross ab und kletterte ebenfalls hinaus. Mit etwas Zögern folgte ihr auch ihr Verlobter. Der Rest der Gruppe blieb am Pfad zurück und hielt im Schatten eines Felsens eine Trinkpause ein.
Überraschend schwierig schien es, den Felsen zu erklettern und fast wäre Haldana einmal ausgerutscht. Der Schweiß stand ihr im Gesicht, als sie an der Spitze ankam und sich zunächst an einer verkrüppelten Föhre, die zwischen den Felsen hier hervor ragte, abstützen musste. Erst dann konnte sie diesen Teil ihres Lehens erblicken.
Als ihr Blick gleich vom Gegenüber eingenommen wurde, weiteten sich Haldanas Augen voll Überraschung. Fast zum Greifen nahe stand auf einem ebenso hohen Hügel auf der anderen Gernatsseite eine Burg. Am Fuße des Hügels auf dem sie Stand schlängelte sich der Fluss gen Süden und, kaum zwei Meilen Vogelflug entfernt, versperrten zwei enge Hügel zwischen dem Gewässer wie ein Tor den Eintritt ins obere Gernatstal. Auf der südwestlichen Seite des Flusses ragte die neu errichtete Burg Gernatsborn empor. Sie konnte sich nur vage erinnern, einmal als Kind hier an dieser Seite der Baronie gewesen zu sein. Damals sei dies hier ein hinterwäldlerischer Teil jenseits des Wutzenwaldes gewesen, oder zumindest wurde er dafür gehalten, in dem einige wenige Wehrgüter um das Überleben gegen Wölfe, Rotpelze und Wutzen kämpfen, und jenseits davon die Wildnis herrschte.
Hier erblickte die Baronin nun eine, gerade im Verhältnis zur Burg Schlotz, eher kleine, aber wehrhaft anmutende und stolze Burg. Zuerst sah sie einen gen Himmel zur Gernatsseite ragenden Bergfried. Zwei große Banner waren daran angebracht, die man auch von Haldanas Position noch halbwegs gut erkennen konnte. Einerseits das neu vergebene Wappen des Landjunkertums Gernatsborn, Blau schrägrechts wellenartig auf Silber, links unten Burg in Silber, oben rechts ein Stierkopf in Rot, sowie das Wappen der Mersinger Familie zu Gernatsborn, ein Wellenbalken in Blau über drei schwarzen Pfählen auf Gold. Beide erinnerten, dass nicht nur eine hochadelige Familie hier residierte - Bruder der Burgherrin Glyrana von Mersingen war Pfalzgraf zu Weidleth -, sondern auch noch von Gnaden der Markgräfin. An den Bergfried lehnte sich von zwei Seiten ein großzügiger, mehrstöckiger Wohn- und Wirtschaftsbau, den zur Verfügung stehenden Platz am Hügel ausnutzend. An nordöstlicher Seite am Gernat neben dem Bergfried am Wohntrakt war auch eine vorgelagerte Terrasse zu erblicken. Die andere Seite der Burg sah Haldana nicht. Doch was hervorstach, waren die (noch strahlenden) kupfernen Dächer der Burg, die von Reichtum und Wehrhaftigkeit (da feuerfest) zeugten. Von den Mauern der Burg ausgehend war der Hang des Hügels in Richtung Gernat steil, mit Steinen und Geröll versehen. Am Fuße etwas nördlich sah sie auch eine Grube, in dem Wohl Kupfer abgebaut wurde. Hingegen schien der Südwesthang des Hügels sanfter zu sein, einige Hütten und Häuser waren zu erkennen, neben Feldern und Gattern. Am Fluss nordwestlich war auch ein Steg mit Hütte erbaut, samt Floß und einer Art Seilfähre für Übersetzungen an die andere Flussseite. Diesen Weg über den Fluss würden sie wohl nehmen müssen.
“Ist das …” Haldana zeigte in Richtung der Fähre, während sie noch immer etwas außer Atem war “die Fähre … der einzige Weg den Gernat zu überwinden? Tuvok, ich kann mich doch erinnern, dass es hier am Oberlauf auch Furten geben soll.”
“Ja” antwortete sogleich der erfahrene Wildniskundige. “Im oberen Gernatstal gibt es je nach Wasserstand etliche Furten. Für die Einheimischen hier schnell zu finden. Der Pfad führt aber eng am Hügel gegenüber der neuen Burg an nördlicher Flussseite vorbei. Seitdem es die Fährstation im Schutze des Gernatsborn gibt, wird der Pfad kaum mehr benutzt” Tuvok deutete seiner Herrin in Richtung Südosten. “... habe ich gehört” fügte er noch etwas leiser hinzu. Er war diesen Pfad selbst länger nicht mehr gegangen. “In dieser Richtung flussaufwärts liegt auch Gut Gernatsquell”.
Die Junge Baronin hatte von hier jedoch keine klare Sicht auf Gernatsquell. Hügel und Wutzenwald versperrten ihr die Sicht. Aber der Kaminrauch von einem Gut, war klar zu erkennen. Im Blick weiter nach Osten sah sie nur den tiefen Wald zu den Schlotzkuppen zunehmend hügelig. Auch war Burg Schlotz von hier zu erkennen, erhob sich der Schlotz doch über den Wutzenwald hinaus. An Gernatsquell hatte sie aber eine gute Erinnerung, da sie als Kind oder gar junge Jugendliche hier einst bei ihrer Tante Valyria ein paar schöne Tage verbrachte.
Schnaufend kündigte sich nun auch Alboran an, den Felsen erklimmend, welcher sich sogleich auf einen Stein setzte und zunächst einen Schluck aus seiner Wasserflasche nahme bevor er sich umsah. “Ah, das ist die Burg?” kommentierte er. “Dann sollten wir doch bald ankommen … nachdem wir wieder heil diesen Felsen hinab gestiegen sind” sprach er und schmunzelte dabei. Sein Blick wich weiter nach Westen ab. “Ohne Zweifel sind wohl die Schlotzkuppen…” dann nahm er noch einen Schluck “... das äußerste Vorgebirge der Sichel. Hier beginnt das Wehrheimer Land.” Westlich des Wutzenwaldes öffente sich das Land in das Gernatstal und man sah eine Art Feuchtebene um den Fluss, eingerahmt von Wäldchen und sanften Hügelketten. Gleich an der Grenze der Baronie Schlotz, nur wenige Meilen von ihrem Standort entfernt, bog der Gernat flussabwärts wieder südöstlich ab und prägte so Schwemmland und Feuchtwiesen.
“Dies hier westlich von uns sind die Gernatsauen” erklärte der landeskundige Tuvok. “Der Ort da drüben” welcher an nördlicher Flussseite etwas nordwestlich von hier in diesen Wiesen lag “liegt schon in Hallingen und wird ebenso Gernatsauen genannt. Und hier weiter über dem Wäldchen kann man auch einen Turm der Trutzburg Hallingen erkennen.” Der jungen Baronin wurde hier bewusst, dass sie nicht nur an der Grenze ihres Lehens stand, sondern wohl auch der Region und dass sich der Menschenschlag hier westlich des Wutzenwaldes von den Schlotzern unterscheiden mag.”
Kaum eine halbe Stunde später war die Praiosscheibe am Zenit angekommen und wieder ohne Schutz gegen die sengende Hitze verließ der kleine Zug den Fuß des Hügels und ritt durch die Gernatsauen in Richtung Fluss, und Fähre. Zwar war ein Pfad zu erkennen, doch waren aufgrund der Regengüsse der letzten Tage unzählige Pfützen und kleine Wasserläufe, die ihnen den Ritt erschwerten. Aves sei Dank mussten sie kaum zwei Meilen durch diese Landschaft reisen, auch wenn sich diese Gernatsausen viel weiter erstrecken.
Gerade als sie aus dem Sichtschatten eines Felsens beim Hügel herauskamen und das erste Ross den Morast an den Fesseln spürte, hörten sie ein Hornblasen von der Burg - sie waren erkannt. “Die Wacht scheinen sie zu erfüllen” kommentierte Alrik seinen Reisegefährten, der einem guten Mahl und einem ordentlichen Bett in der Burg nicht abgeneigt war.
Und sie waren nicht nur erkannt worden, sondern ihre Ankunft schien erwartet zu werden. Kein Wunder, war ein baldiger Besuch der Vögtin auf Burg Gernatsborn ja angekündigt gewesen. Dass die junge Baronin samt Verlobtem und Schwiegereltern mit von der Partie war, sollte vielleicht eine Überraschung sein.
Kurz nach dem Hornblasen marschierte ein gutes Dutzend Soldaten am anderen Ende der Fähre auf, welche bereits an der gegenüberliegenden Flussseite auf die Gäste warteten.
“Ja ist das nicht Roderick, mein alter Knappe, ha!” verwundert und überrascht blickte der Friedwanger Baron über den Gernat zur aufmarschieren Truppe, welche offensichtlich auf einem Pferd reitend von dem Oppsteiner angeführt wurde.
“Roderick?” fragte Ismena “mein … Neffe?”.
“Genau, dein Neffe” antwortete Alrik suffisant. “Und mein ‘ewiger’ Knappe und Edelknecht, ha.” Nach den Kämpfen bei der Rommilyser Befreiung, bei denen er unbedingt teilgenommen hatte, dachte er, er wäre was Besseres. Er hat wohl etwas Kriegsbeute gemacht und Friedwang verlassen” Tatsächlich hatte sich Alrik damals fast gewundert, dass Roderick ihn nie zuvor verlassen hatte. “Aber schlecht hatte er es doch nie bei mir…. Jedenfalls hatte ich gehört, dass er sich dann der Mersinger Truppe - Mersinger Pfahlgarde sollen sie heißen - angeschlossen hat. Wurde nach der Schlacht in Rommilys gegründet. Auch ein paar ehemalige Hahnengardisten aus Friedwang sind darunter. Und dann hat er sogar den Ritterschlag erhalten, das glaubst du nicht. Nach all den Jahren, haha.” Fast wäre sein Pferd in eine Matschpfütze tief getreten, da zog der Friedwanger die Zügel wieder an und konzentrierte sich. “Seinen Pagenkopf hat er jedenfalls noch immer, ist nur schütterer geworden” während er etwas grinste.
An der Fährstation angekommen begrüßten die Fährleute den hohen Besuch demütig aber wortkarg und deuteten auf die Fähre. Der Reisezug bestehend aus den sechs Reitenden stieg ab und platzierte sich auf dem hölzernen Floß, das kaum mehr Last zu tragen vermochte. Die Muskeln der vier Männer und Frauen, welche die Fähre bedienten, spannten sich an und mit ihnen spannten sich die Seile. Das wacklige Gefährt machte zunächst einen kräftigen Ruck, dann ging es recht glatt über den Gernat los.
Haldana blickte auf den Fluss, dessen Wasser durch die Strahlen der Praiosscheibe glitzerten. Während das Gewässer etwas flussaufwärts im engen Durchgang der beiden Hügel hinter ihr rauschte und große Steine zu erkennen waren, floss der hier breite Fluss gemächlich vor sich hin. Die Tiefe konnte sie nicht erkennen, aber hin und wieder ließen Wellen und Gischt auch auf Steine im Wasser schließen. Ein kundiger Flößer sollte hier aber wohl sein Handwerk nachgehen können.
Da waren sie auch schon an der anderen Seite angekommen. Der Anführer der Truppe, Ritter Roderick, war mittlerweile von seinem Ross abgestiegen und verbeugte sich vor den Gästen. Hinter ihm erblickte man ein Dutzend Hellebardiere mit Kürass und Sturmhauben, einheitlich trugen sie dunkle Hosen und ein Wams in den Farben Schwarz und Gold sowie waren um die Helme blaue Bänder geschnürt. Auch der Ritter war in diesen Farben gewandet. Die Farben der Mersingen zu Gernatsborn erkannte die Vögtin zweifelsfrei.
“Eure Hochgeboren” Roderick verneigte sich noch tiefer, sodass seine Andeutung einer leichten Glatze gut für alle zu erkennen war. Man hatte ihm gesagt, dass die Schlotzer Vögtin erwartet werde, aber der Friedwanger Baron, sein ehemaliger Schwertvater, weitere Edelleute aus Friedwang und Oppstein sowie (für ihn vermeintlich) die junge Schlotzer Baronin zu Gast war, verwunderte ihn. Er ließ sich aber nichts anmerken. Und auch angesichts seines ehemaligen Herren blieb er ruhig, auch wenn er ein eher gespaltenes Verhältnis ihm gegenüber hatte. Er setzte fort. “Mein Name ist Ritter Roderick von Oppstein. Ich grüße Euch im Namen von Glyrana von Mersingen und Storko von Gernatsborn-Mersingen, die euch bereits auf Burg Gernatsborn erwarten. Ich darf euch weiter geleiten.” Dann deutete er in Richtung von Hügel und Burg.”
Adginna übernahm das Wort. “Habt Dank, Ritter, dann wollen wir die Gernatsborner Herrschaft nicht lange warten lassen. Eine stolze Burg wurde wahrlich hier erbaut.” kommentierte sie noch zusätzlich. “Führt uns an”.
Der Oppsteiner bestieg wieder sein Pferd und führte die hohen Gäste an, flankiert von den Pfahlgardisten. Von hier war es eigentlich nur wenige Hundert Schritt, aber sie mussten den Hügel und den schroffen Steilhang der sich zur Flussseite neigte westlich umgehen. Dies ermöglichte allen einen einen guten Blick auf die Grube, die auf ihrem Weg lag. Fast bedrohlich nah am Wasser wurde am Hang des Hügels im Tagebau Erz abgebaut - Kupfererz wie die meisten wussten oder zu vermuten war. Teilweise war die Grube mehrere Schritt tief und Holzgerüste zeugten von emsigen Arbeiten. Jedoch nicht heute zumindest. Als Grund nahmen die Gäste wohl ihre Anwesenheit an, die nicht durch die laute Arbeit gestört werden sollte. An sich konnte man die Burg am Gernats sowie die Hütten am sanften Hang der anderen Seite, die nun mehr und mehr zu erblicken waren, heimelig und idyllisch bezeichnen, die Kupfergrube passte dabei jedoch nicht ins Bild.
Der Pfad führte hier nun durch Äcker und Gatter vorbei, immer wieder durch Obstbäume unterbrochen, an denen schon bald wohl reife Früchte hängen sollten. Die Bauern und Arbeiter, die sie passierten verneigten sich vor den Edelleuten und hielten schweigsam ihr Tagewerk an. Man sah ja nicht jeden Tag die Schlotzer Vögtin samt weiteren Edelleuten vorbei reiten.
Ein gutes Dutzend Hütten und Katen waren hier am Fuße des Hügels gebaut. Weiter in Richtung des Waldes konnte man auch Kohlenmeiler, oder zumindest den Rauch davon, und eine Art Holzfällerwerkstatt erkennen. Zentral war ein steinernes Gebäude als Schmiede zu sehen, sowie offensichtlich ein Wirtshaus, mit einem Schild samt Krone, die auf einem Schemel ruht.
Bevor sie zu den Häusern kamen, passierten die Reisenden einen - offensichtlich recht jung angelegten - Hain, in dessen Mitte ein offener Schrein errichtet war. Die Vögtin konnte sich erinnern, warum der Gernatsborner letztens in Schnayttach war, nämlich um die Weihe eines Schreins der jungen Göttin mit dem Schlotzer Tempel zu besprechen. Glyrana galt als Förderin des Glaubens des Schlotzer Tsatempels und hatte auch vor einigen Jahren den Friedwanger Tempel in Zaberg neu errichten und wieder besetzen lassen. Der kleine Schrein schien jedenfalls für die Weihe bereit zu sein, denn eine etwa ein Schritt hohe Statue der Göttin als Hochschwangere inmitten einer Kinderschar war bereits aufgerichtet.
Die begleitende Patrouille führte sie weiter auf die sanfte Westseite des Hügels hinauf zur Burg. Ein recht schmaler Weg, durchaus etwas steil, brachte sie zum Tor, das weit geöffnet und selbst wieder von zwei Bewaffneten bewacht wurde. Ein schwerer Pferdewagen vermochte hier hinauf und durch das Tor zu kommen, seine Kutsche jedenfalls nicht, dachte sich der Friedwanger Baron, während sie am Pferd hinauf schritten. Sodann kamen sie in einen kleinen Hof hinter einer zinnenbewehrten Mauer, eigentlich eher als Torzwinger zu bezeichnen. Weiter hinten sahen sie wohl die Stallungen samt Wirtschaftsgebäude sowie ein Tor zu einem weiteren Zubau, aber was ihre Aufmerksamkeit einnahm, war die Herrschaftsfamilie, die vor dem Tor im erste Stock des Haupthauses an der steinernen Treppe Stellung bezogen hatte. Die ganze Mersinger Familie zu Gernatsborn war, man könnte fast sagen, angetreten, um die hohen Gäste zu begrüßen. Vor dem Wehrvogt der Mark und der Vögtin zu Meidenstein, die sich beide in ritterlich-kämpferischen Gewandung darboten und mit Schwert gerüstet waren, standen drei Kinder, nach Größe und wohl Alter angeordnet. Die Kinder, etwa zwischen fünf und acht Götterläufen alt, zwei ältere Mädchen, das dunkle Haar im Pagenschnitt, und ein kleinerer Junge mit kurzgeschorenen Haaren, hatten allesamt bunte Blumensträuße in ihren Händen. Hinter der Familie waren weitere Personen, wohl der “Hofstaat” der Burg zu erkennen. Die Oppsteinerin unter den Gästen erwägte sogar ihre Nichte und Namensvetterin, Ismena von Baernfarn zu erkennen, die in jüngeren Jahren als mögliche Braut des albernischen Prinzen eine gewisse Bekanntschaft erreicht hatte. Was keiner der Gäste so genau wusste, war, dass der älteste Sohn von Glyrana und Storko bereits Page am Hofe zu Hallingen war und so nicht mehr auf der elterlichen Burg weilte.
Langsam füllte sich der kleine “Burghof” mit den nachkommenden Hellebardieren und den Gästen wurde gedeutet abzusteigen, um ihre Pferde vom Gesinde in die Stallungen und das Gepäck in ihre Gästezimmer zu bringen. Die Gastgeber ließen auch nicht lange auf sich warten und stiegen die Treppen hinunter, wobei die Kinder offensichtlich vorgeschickt wurden. Die Burgherrin ergriff als erstes das Wort als sie in der Mitte der Treppe ankam. Mit einer runden, warmen Stimme, offenen Armen und leicht gesenktem Kopf, begrüßte sie die Gäste.
“Seid willkommen auf Burg Gernatsborn, Eure Hochgeboren! Im Namen der Vereinenden Mutter, der Ewig Jungen und der anderen Zehn soll unser Treffen der Beginn einer engeren Freundschaft sein. Vögtin, Eure Ankunft haben wir erwartet, aber dass Ihr auch Euch Haldana von Schnayttach-Binsböckel, junge Schlotzer Baronin, samt dem jungen Friedwanger Edlen, der Euer Gemahl werden soll - so haben wir vernommen - zu und als Gäste mitbringt, das erfüllt uns mit Freude und Dankbarkeit. Wir heißen euch alle erdenklichen Glückwünsche, soll die Ewig Junge Göttin euch reichen Kindersegen schenken! Und auch Euche Baron Alrik von Friedwang und Ismema von Oppstein heißen wir nicht minder willkommen.” Die drei Mersinger Kinder reichten den hohen Gästen jeweils die Sträuße in ihren Händen und verneigten sich. Das älteste und etwas rundliche Mädchen zunächst der Vögtin, die mittlere der Schlotzer Baronin und der etwas zartbesaitete kleine Junge dem Friedwanger Baron. “Doch genug der Worte. Ihr müsst erschöpft sein von dem Ritt in der Sommerhitze. Eure Kemenaten sind bereits vorbereitet. Für eine Führung auf der Burg ist noch genug Zeit, ruht Euch aus. Am Abend erlauben wir uns Euch zu einem kleinen Festmahl einzuladen.”
Am selben Tage, ein Stück nördlich des Gernat
Praiodîn sprach die letzten feierlichen Worte des Mittagsgebets und schlug das Sonnenzeichen. Dann erhob er sich, vor dem kleinen “Altar”, den er am Weg von Gernatsau her errichtet hatte. Genau genommen bestand er aus seinem Umhang und der Statuette der "Heiligen Praiociosa", die frisch bemalt auf dem Findlingsstein stand. Die Lindenholzfigur zeigte eine Hochgeweihte, die mit verzücktem Augenaufschlag in Richtung Sonne blickte. Praios Schild beschien die Wiese mit goldenem Licht, ebenso die grünen Hügel gen Rahja und den schmalen Pfad, der den sumpfigen, verschilften Flussrand entlang Richtung Schlotz führte.
Bald würde er Hallingen wieder den Rücken kehren müssen. Ihm gefiel der Landstrich nördlich des Gernat, wo es deutlich "wehrheimischer" und damit praiosgefälliger zuging als im arg verwilderten Sichelhag. Im Wappen des Burggrafen prangte sogar der Greif, wie auch weiter westlich auf dem Banner der Pfalzgrafschaft Brücksgau. Die Bregelsaums hatten hier ihr Stammlehen. So gesehen waren sein Gebet und seine Rast auch so etwas wie ein Abschied gewesen.
Die "Heilige" Praiociosa von Nerdanheim... Sein Blick fiel auf die neue Schlange, die sie unter ihrem rechten Schuh zertrat (Hilmar der Holzschnitzer hatte das verfaulte Holz der alten Schlange komplett ersetzt). Ebenso auf das flammende Geschoss, das die Hochgeweihte in Händen hielt. Kara von Baliho war eine Unfreie gewesen, die einst dem Heiligen Alboran geschenkt worden war, vom Balihoer Grafen. Eine Zeitlang hatte sie selbst zu einem Schlangengötzen gebetet, bevor ihr die Heilige Lechmin von Weiseprein die Augen geöffnet und gegen die orkischen Belagerer beigestanden hatte, mit feurigen Pfeilen von Alveran herab. Wie es hieß, hatte sie ihren Gemahl Alboran überhaupt erst zum wahren Glauben an den Götterfürsten bekehrt, damals, in den Dunklen Zeiten. Allerdings, in der Rohalszeit hatte ihr Ruf arg gelitten, seither galt sie vielen nur noch als rassistische Elfenfeindin und geistlose Praioseiferin. Einer der friedwanger Barone hatte ihren Kult sogar selbstherrlich verbieten lassen, nachdem der Nordenheimer Tempel in Flammen aufgegangen war. In der St. Alborans-Basilika war sie heutzutage eine Beifigur, ohne eigenen Schrein. Wie bedauerlich.
Praiodîn betete vor ihr, weil er sich nicht einfach vor einem "heiligen Stein" verneigen wollte, wie einer dieser verrückten Sokramorier. Hübsch geschnitzt war sie, die kleine Praiociosa, zumal jetzt, wo sie wieder in alter Schönheit erstrahlte. Im Wortsinn, die Goldfarbe sah wirklich prachtvoll aus, auch wenn es nicht wirklich Blattgold war. Er mochte Karas Geschichte, schon allein weil sie ein Bauernkind gewesen war wie er selbst.
Hilmar Okenheld, der Hauberacher Holzschnitzmeister. Auch den linken Arm hatte er kunstvoll erneuert, ebenso die eine abgebrochene Sphärenkugel und die wurmstichige Mütze. Er war auf Kirchenkunst spezialisiert und wohl ein alter Freund (wenn nicht sogar entfernter Verwandter) Garafanions. Man konnte sich gut mit dem weißhaarigen alten Mann unterhalten. So hatte Praiodîn erfahren, dass Alriks Bastard Alboran regelrecht aus der Knappschaft in der Pfalzburg Brücksgau geworfen worden war, durch Hochedelgeboren Auburia von Roßhagen. So deutlich hatte man das zuhause in Friedwang noch nie vernommen. Sie schien dem jungen Bankert wirklich zu mißtrauen.
Ein Zweig knackte im Gebüsch, irgendein Vogel flatterte auf und dann ging alles ganz schnell. Vier, fünf gedrungene Gestalten huschten aus dem Gebüsch und kreisten ihn sofort ein. Platte, affenähnliche Gesichter, spitze Ohren und Backenzähne unter speckigen Hauben, dazu Lederwämser, Kettenzeug, krumme, schartige Klingen, Knüppel und Speere. Goblins...Obwohl die Wegelagerer in der Überzahl waren, hielten sie respektvoll Abstand. Lispelnd und zischelnd deuteten sie erst auf den ziemlich geleerten Dukatenbeutel des Geweihten, dann dessen Rucksack.
"Gib unss dasss, Goldrock...und wir nik makn tot!"
Praiodîn gewährte dem Gesindel nicht einmal eine Antwort, sondern zog sofort sein Sonnenzepter. Er merkte, dass das glänzende Metall den Anführer blendete, und nutzte die Schwäche sofort aus.
Der Goblin parierte dennoch mit seinem Krummsäbel. Der Streitkolben glitt ab. Einer der scharfen Sonnenstrahlen ritzte dabei die Stirn des Rotpelz. Praiodîn wich vor einem wütenden Konter zurück, ließ seine Waffe wie einen Schweifstern kreisen. Heiliger Alboran, steh mir bei gegen diese barbarischen Fellträger. Ein Stein streifte seine Robe, ohne besonderen Schaden anzurichten. Nun versuchte einer der Feiglinge, ihm rücklings den Speer zwischen die Schulterblätter zu stoßen.
Er wich aus, konnte allerdings nicht verhindern, dass von vorne eine gezackte Klinge über seinen rechten Unterschenkel schrammte. Der Hieb traf das Feenbein, ausgerechnet… Praiodîn spürte den scharfen Schnitt, im nächsten Moment sprudelte ihm auch schon warmes Blut in den Stiefel. Ein wütendes Knurren, dann streifte ihm ein Keulenhieb am Arm. Reflexartig schlug er zurück und hatte das Gefühl, etwas Weiches, Felliges getroffen zu haben. Nun drang der scharfe Gestank nach Goblin mit voller Wucht an seine Nase. Ein Messer schlitzte seinen Robenärmel auf, ein Schwerthieb fegte die schöne Filzmütze davon. Der Geweihte sah seine Gegner nur noch als Schemen, die um ihn herum wirbelten. Ein weiterer Hieb galt einem klobigen Goblinschädel. Lautes Gejammer zeigte ihm, dass er diesmal wirklich getroffen hatte.
Der würdelose Kampf war so schnell vorbei, wie er begonnen hatte. Eine der Stinker packte die heilige Praiociosa mit seinen ungewaschenen Pratzen und lief mit der scheinbar kostbaren Beute davon. Das ganze hätte auch eine kleine, hässliche Schlägerei im Rommilyser Katzloch sein können. Die übrigen Gegner ergriffen das sprichwörtliche Goblinpanier. Der Lichtbringer wollte zur Verfolgung ansetzen, aber sein verwundetes Bein gehorchte ihm nicht mehr. Greller Schmerz glühte von dem Schnitt nach oben, ließ ihn schreiend zusammenbrechen. Die Bande lief nun ins Gebüsch, vorneweg der Dieb der kleinen Praiociosa. Irgendwie hatte er das alles schon mal erlebt, damals in Zaberg. Praios, steh mir bei! Lass deine Diener nicht in die Hände der Feinde des Lichts fallen.
Der oberste Richter Alverans und Himmelskönig erhörte sein Stoßgebet. Hart zischte ein gefiederter Schatten durch die Luft. Der Armbrustbolzen traf den Langfinger genau unter dem Nacken, noch im Kragen seiner zerfledderten Gugel. Ächzend stürzte er nach vorne, als hätte ihn ein Riese getreten. Die Statuette rollte unter einen Farn. Der Goblin rührte sich nicht mehr.
Ächzend drehte sich Praiodîn auf den Rücken. Eine Blutlache breitete sich von seiner Beinwunde aus, der Rest waren nur Schrammen.
Im Licht des hellen Mittags sah er seinen Retter auf sich zukommen, eine Armbrust in Händen. Genau genommen war es eine Retterin, mit Beckenhaube, erdfarbenen Gewändern und wattiertem Waffenrock. An ihrer Seite baumelte ein schmuckloses Schwert. Sie spähte einen Moment um sich, aber die überlebenden Goblins waren wirklich verschwunden. Feiges, ehrloses Pack. Nur ihren Gestank hatten sie zurückgelassen, ebenso wie ihren mausetoten Gefährten.
Die Armbrusterin nahm den Helm ab und kniete sich neben Praiodîn, eine schon etwas ältere, drahtige Kämpferin mit kurzgeschorenen, grauen Haaren und harten Augen. "Oh, sieht nicht gut aus." Die Fremde blickte auf seine zerfetzte Robe und die aufgeschlitzte Hose. "Einen Mann des Praios anzugreifen, diesem heidnischen Abschaum graut es wahrlich vor nichts."
"Seid bedankt". Praidodîn rappelte sich ein wenig auf. "Euch schickt wahrlich der Herr des Lichts. Ich wäre mit ihnen fertig geworden...aber um ein Haar...ah...hätten sie mir die heilige Praiociosa gestohlen. Ich muss nachschauen, ob sie heil ist...ich..."
"Scht, ruhig. Ihr habt einiges an Blut verloren." Die Schützin nestelte ihre Umhängetasche hervor und packte Verbandszeug aus. Erst jetzt merkte Praidodîn, dass sie schwere Lederhandschuhe trug.
"Mein Name ist Praiodîn Xerber, Donator Lumini der Sankt Alborans-Siegesbasilika zu Markt Friedwang. Ich bin...Euch wirklich zu Dank verpflichtet, Frau... äh... ah..."
"Firun bi! Ich heiße Renia...Renia Hagewisch...Recht sauberer Schnitt, immerhin, so im Großen und Ganzen habt Ihr doch noch Glück gehabt. Nur eine Fleischwunde. Wenn die Stinker nicht immer so verdammte Zacken und Scharten in ihren Klingen hätten."
Firun bi? Renia? Das klang tobrisch, wie die sonstige Mundart seiner Retterin.
Langsam nahm der Schmerz überhand. Auch wenn er eigentlich Selbstgeißelungen und Entbehrungen gewohnt war. Praiodîn rang um Selbstbeherrschung, konnte sich aber ein leichtes Stöhnen nicht verkneifen. "Heilige Praiociosa steh mir bei... aaah... arrrggg..."
"Gehts noch? Wenn die Wunde verbunden ist, wirds meistens leichter."
"Ist schon... verdmt..schm...schmerzha...aaa...aahft..."
"Trinkt erstmal nen ordentlichen Schluck, Euer Gnaden...wenns beliebt."
Renia entkorkte eine mit Ziegenfell bespannte Feldflasche, die nach Schnaps roch. Praidodîn wollte erst abwehren – er war schließlich Lichtbringer – aber das gleißende Pochen im Unterschenkel belehrte ihn eines Besseren. Der Schmerz steigerte sich gerade von grausam in Richtung unerträglich. Nun wurde ihm auch noch schlecht. Das fehlte noch, dass er sich hier vor der Tobrierin selbst beschmutzte. Also nahm er einen kräftigen Schluck, und dann noch einen. Der Schnaps schmeckte keinesfalls so scharf und brennend, wie er befürchtet hatte, eher süß und schwer wie Likör. Praiodîn atmete ein paar Mal tief durch. Die Qual ließ tatsächlich etwas nach. Hastig nahm er einen weiteren Schluck, dann einen weiteren. Wischte sich die Lippen sauber. Einen Moment lang kam er sich abgebrüht vor wie ein alter Söldling, der bei einer Belagerung angeschweißt im vordersten Graben lag. Er fühlte sich angenehm benebelt, als hätte er den ganzen Tag Weihrauch eingeatmet. Der Schmerz zog sich zurück, wich einem tauben, pelzigen Gefühl rund um die Wunde. Die Tobrierin verband ihn nun mit kundigen, resoluten und schnellen Griffen.Selbst die Wundreinigung mit Schnaps war erträglich gewesen.
"Renia Hagewisch, ich stehe tief in deiner Schuld", hörte sich Praiodîn mit schwerer Zunge sagen. "In deiner Schuld", wiederholte er feierlich. "Zum Glück ist es nicht mehr weit bis Gernatsborn."
"Ihr wollt noch bis nach Gernatsborn, Euer Gnaden? In Eurem Zustand?"
"Ja, ich muss zu Glyrana und Storko von Mersingen."
Renia hob die Augenbrauen. "Mersingen...Gernatsborn...Hm. Habe gehört, sie stellen gerade eine Burgwache zusammen. Eigentlich wollte ich ja nach Gallys, bei Kor, um mal da mein Glück zu probieren. Aber vielleicht braucht Storko ja noch eine gute Armbrustschützin, in seiner neuen Burg."
"Ich brauch bis dorthin vor allem eine gute Stütze." Praiodîn versuchte logisch zu denken, logisch und geordnet. Mit der Wunde würde es schwer genug werden, bis zur Burg zu humpeln, auch ohne Gepäck. Er würde diese offenkundige Söldnerin brauchen, um die "Praiociosa" zu tragen. Ebenso einen Stock oder Stecken. "Wenn du mir hilfst, soll es dein Schaden nicht sein. Ich werde auf jeden Fall ein gutes Wort für dich einlegen. Das war ein sauberer Blattschuss, der diesen verfluchten Rotkittel erlegt hat. Geradezu meisterlich.”
"Ich weiß ja nicht, ich weiß ja nicht." Renia kratzte sich die grauen Stoppelhaare, mit der Linken. "Würde es nicht mehr Sinn machen, erstmal nach Gernatsau zurückzukehren, und sich lieber da eine Bleibe zu suchen? Is´ kürzer..."
"Ah...ach was. Ich humple lieber vorwärts als zurück...Glaub mir, Söldnerin, ich bin da auch einiges gewohnt...seit dem letzten Krieg. Auch wenns vielleicht nicht so aussieht. "
"Seit dem letzten Krieg? Ist der denn überhaupt schon vorbei? Also gut, Euer Gnaden, ich werde Euch helfen, in der Zwölfgötter Namen. Und wenns nur meine unsterbliche Seele ist, für die was dabei rausspringt. Ein bisschen Praioslohn könnte ich sicher gebrauchen." Renia grinste schief.
Am gleichen Abend, Burg Gernatsborn
Auf dem Weg durch die Burg erschien diese im Inneren etwas verwinkelt zu sein, jedenfalls waren die den Gästen zugewiesenen Zimmer durchaus komfortabel, mit weichem Bett, Schrank, kleinem Tisch und auch bequemen Schemeln. Jedes Zimmer verfügte auch über ein Fenster mit gutem Ausblick - je nach Ausrichtung auf den Gernat oder den Wutzenwald - und einem eigenen kleinen Kamin, für kühlere Tage wohlgemerkt. Jedem der edlen Gäste wurde, wie es sich gehört, ein eigenes Zimmer gegeben und ein kleiner Zuber mit warmen Wasser wurde jedem sogar gefüllt. Die Burg war anscheinend auf Gäste dieser Art vorbereitet oder besser gesagt erbaut worden. Tuvok dem Jäger wurde hingegen ein Bett in der Kammer des örtlichen Gasthauses außerhalb der Burg zugewiesen.
Des Abends wurden die Gäste zum Abendmahl geladen. Nicht jedoch in einen Speisesaal. Auf einer dem Wohntrakt vorgelagerten Terrasse an nordöstlicher Seite am Gernat neben dem Bergfried war eine Tafel mit acht Stühlen vorbereitet - eine größere Runde vermochte die nicht allzu große Terrasse wohl auch nicht zu fassen. Der Abend war warm und windstill, jedoch hier im Schatten des Turmes von der untergehenden Praiosscheibe geschützt angenehm. Das allgegenwärtige Rauschen des Flusses war das erste, was die Gäste vernahmen, als sie auf die Terrasse traten. Das Gurren von Vögeln ließ ihren Blick an die Seite schweifen, an der ein Taubenschlag zu erkennen war. Der Ort und der Tisch waren gut mit Kerzen auf Halterungen und Stehern ausgeleuchtet, und prägten ein fast romantisches Ambiente. Die Tafel war reich gedeckt, mit gebratenem Rücken und Schlögel vom Reh, gegrillter Gernatsforelle, frisch gebackenem Brot und verschiedenen Gemüsebeilagen dufteten wohl bis zu den Zinnen des Turmes hinauf - eindeutig zu viel für die kleine Festgesellschaft, wobei sich das Gesinde wohl über die Reste freuen werde. Neben Krügen und Flaschen mit Bier und Wein, ließ der süßliche Duft auch auf Honigmeth schließen, der aus dem nahe gelegenen Gernatsquell bezogen wurde.
Die Gastgeber, Glyrana und Storko, erwarteten die fünf edlen Gäste bereits. Im Gegensatz waren sie nun in wenig ritterlicher Gewandung erschienen, sondern eindeutig höfischer. Bei dem Wehrvogt fielen stich sofort ein Barett mit recht überdimensionierten Federn auf, seine Gattin war dem abendlichen Licht angemessen stark geschminkt und in ein edles Kleid gewandet, das in Erscheinung einer Baronin kaum nachstand. Der achte Stuhl wurde von einer weiteren jungen Frau eingenommen, kaum Jahre älter als die junge Schlotzer Baronin, die scheinbar nicht der Mersinger Familie angehörte. Auch sie war in einem dem Hochadel standesgemäßen Kleid in grünem Bausch erscheinen, das ihre schlanke Figur betonte und einen guten Kontrast für die langen rotbraunen Haare bot. Abgesehen von Haldana und Alboran war sie für die Gäste keine Unbekannte.
Die Gernatsborner Burgherrin ergriff das Wort, als ihre edlen Gäste die Terrasse betraten. “Eure Hochgeboren, Eure Wohlgeboten, ich hoffe Ihr konntet Euch angemessen erholen. Wir dürfen Euch zu einem bescheidenen Mahl einladen, allesamt was der Wald, Fluss und Acker uns schenkt.” Ein Diener ging durch die Runde und reichte auf einem kupfernen Tablett hohe aber dünne, kupferne Becher mit kühlem Meth, die zum Anstoßen gereicht wurden.
Bevor die Gäste Platz nahmen fuhr Glyrana noch fort. “Ich darf Euch auch meine über alle Maßen geschätzte Begleiterin vorstellen: Ismena Rondrija von Oppstein und von Baernfarn, älteste Tochter des ehemaligen Barons und Baroness zu Gallys sowie älteste Tochter der Schwester des letzten Barons zu Oppstein und Rommilyser Stadtvogts.” “Fast wäre sie auch albernische Prinzessin geworden” unterbrach Storko sie fast und grinste dabei etwas.
Die Oppsteinerin unter den Gästen musste sich gezwungen räuspern, während sie den süßen Honigsaft schlürfte. Das war wohl mehr als dick aufgetragen mit ihrer Nichte. Da führten die Mersingen sicher etwas im Schilde mit der jungen Ismena. Auch Alrik kam das nun etwas almadanisch vor.
“Ohne Ismena wäre ich als Vögtin in Meidenstein heillos überfordert, sie ist meine rechte Hand in Verwaltung und Diplomatie.” fuhr Glyrana mit freundlicher Miene fort.
“Genug der Ehre” meldete sich nun auch die junge Ismena mit sanfter Stimme und etwas Lächeln im Gesicht zu Wort. “Ich tue lediglich meine bescheidene Pflicht im Namen Praios und Travia”. Ihre Aussage erschien erstaunlich ehrlich, was es trotz der einstudierten Antwort auch war.
“Apropos Oppstein, ja Oppstein...” fuhr der Wehrvogt vielleicht etwas unpassend gleich hervor, während die Gäste kaum Platz genommen hatten. “Ich komme in der Mark viel herum, mehr als mir manchesmal lieb ist” schmunzelte er “da es mich von meinen Liebsten zu lange trennt.” Aber als ich zuletzt einmal nahe den Oppsteiner Landen vorbei zog, hörte ich Gerüchte. Der Oppsteiner Baron Adran soll ein zügelloser Lebemann sein und auch seltsamer Magie nicht abgeneigt. Der örtliche Tempel des Götterfürsten ist schon länger sehr besorgt, da Gesetzlosigkeit und Unzüchtigkeit vermehrt in den Landen Einzug halten.” Er blickte nun den Friedwanger Baron und seine Oppsteiner Begleitung an. Zwei Mägde reichten den Gästen Braten und Fisch. Dann wurde feierlich angestoßen.
“Was könnt ihr mir darüber sagen?” fuhr Storko fort. “Ich bin durch Markgräfin und Bannerherrn angehalten alles zu berichten, was mir zu Ohren kommt, jedoch will ich natürlich keine falschen Geschichten erzählen.”
Alrik tupfte sich, leicht amüsiert, etwas Soße aus dem Spitzbart. Dann nickte er dankbar der Dienerin zu, die ihm von der Seite her einschenkte und blickte zur Gießenborner Ismena: "Gesetzlosigkeit und Unzüchtigkeit in den Oppsteiner Landen, hört, hört... Weißt du etwas davon, liebe Isi?"
Ismena begann gerade formvollendet, eine Gernatforelle zu entgräten. Dann lehnte sie sich erst einmal zurück. Ihr gefiel es hier draußen auf dem Söller. Das letzte Abendrot tauchte das frisch verputzte Gemäuer in rahjagefällige Farben. Auch die flackernden Kerzen gefielen ihr. An einem Sommerabend wie diesem konnte man sich fast wie im Lieblichen Feld wähnen. Im Horasreich wurde man allerdings ebenfalls auf Schritt und Tritt von den Augen und Ohren des Horaskaisers verfolgt.
"Ich war leider schon länger nicht mehr auf der Stammburg meiner Familie", sagte die Oppsteinerin mit ehrlichem Bedauern. "Adran, ja, eine lange Geschichte...es gibt viele Gerüchte über ihn, gewiss. So viele Gerüchte, wie er Feinde hat. Feinde und Neider...Magiebegabt ist er keinesfalls. Wer hat denn so etwas behauptet? Seine Gemahlin Thahira von Birkenbruch hat er sogar in der Sankt-Alborans-Siegesbasilika zu Marktfriedwang geehelicht. Mein seliger Bruder, Inquisitor Parinor Rukus, hat seinerzeit dafür gesorgt, dass die Oppsteiner es mit ihrem Volksglauben nicht übertreiben. Draußen in den Gebirgstälern, wo die Wälder tief und die Winter lang sind, mag es noch merkwürdige Sitten geben...Abgesehen davon, dass man manche Geister und Kobolde nun mal besänftigen muss. In den Dörfern werden allein die guten Zwölfe in Ehren gehalten."
Alrik schnibbelte gerade klecksend am Rehschlegel herum und ließ, leicht ungehalten, das Besteck sinken. Spielte Ismena die Naive oder glaubte sie wirklich, was sie da erzählte? Der Friedwanger nippte an seinem Meth und räkelte sich im Stuhl, mit Blick auf den sanft schimmernden Gernat. Adran. Gerne hätte er jetzt "ausgepackt" und seinem Nebenbuhler nach Herzenslust geschadet. Aber leider war seine Gemahlin eine von Adrans ehemaligen Liebschaften gewesen. Angeblich "ehemalig". Das hell lodernde Feuer der Wahrheit konnte in diesem Fall leicht außer Kontrolle geraten, wie so oft.
"Der gute Parinor ist leider schon vor vielen Jahren gen Alveran gegangen, meine liebe Ismena. Und der beste Freund Adrans war er jetzt auch nicht gerade...der Herr Baron liebt sokramorischen Mummenschanz und ausgiebige nächtliche Ausflüge, heißt es. Er soll viele Liebschaften haben, Männer und Frauen gleichermaßen (Bei diesem Einschub schlug Adginna das Gänsefüßchen, um ihrer Bestürzung Ausdruck zu verleihen über dieses unzüchtige Verhalten, von dem gerade berichtet wurde), bei den Bregelsaums ist er deswegen unten durch. Er schützt die Orte, die dem Volk, aber nicht unbedingt der Kirche als heilig gelten. Weils dort besonders feeisch zugehen soll... manche würde auch sagen: dämonisch...ich gehe natürlich nicht soweit. Anshelm Horninger, der Inquisitor in Rommilys, hat vor einigen Jahren eine eingehende Untersuchung der Vorfälle der Wildermarkzeit begonnen. Und hatte keine größeren Beanstandungen, was den Hochadel des Sichelhags betrifft."
Weil die Praioten mehr mit sich selbst beschäftigt waren, fügte Alrik in Gedanken hinzu. Schon allein, um die Anhänger des verrückten Praiossohnes Albuins von Wehrheim herauszusieben.
Ismena begutachtete gerade das neumodische Essgerät, das aus zwei Zinken bestand und "Gäbelchen" genannt wurde. Mit dem zarten, blassen Zeigefinger testete sie dessen Spitzigkeit: "Es gibt Menschen, die halten bereits eine solche Essforke für ein Dämonenwerkzeug. Sie sieht aus wie ein zwiefach Gehörnter...und haben uns die Götter nicht Finger gegeben, auf dass wir die Speisen damit zum Mund führen? Versteht mich Recht, Storko, ich habe einige Jahre in Belhanka gelebt und weiß derlei Fortschritt zu schätzen. Aber was für den einen nur eine Erleichterung ist, ist in den Augen der anderen bereits eine Sünde."
"Sieben Götterläufe waren es, um genau zu sein. In Belhanka. Bei der Erfüllung deines Gelübdes." Der Friedwanger unternahm einen erneuten Anlauf, seine Rehkeule zu tranchieren. "Essbesteck ist keinesfalls harmlos, wie man spätestens seit dem Ogerlöffel weiß. Es kommt auf den Umfang an. Manch harmlos scheinendes Messerchen taugt in Wahrheit schon zum Dolch. Nun, man sagt, dass Adran nur deswegen nicht im Oppsteiner Haus der Travia geheiratet hat. Weil jeder wusste, dass seine gemeinsame Tochter mit Thahira in Wahrheit ein Spross Redenhardts ist. Nicht so ganz ungewöhnlich, ich weiß, ich weiß..." Ein Hüsteln, gefolgt von einem Blick zu Alboran, der ein wenig verdrießlich blickte.
"Aber dann im Angesicht des Allerhöchsten ein fremdes Kind als das eigene auszugeben...nun ja...das muss jeder mit seinem eigenen Gewissen ausmachen."
"Er hat Praiodane adoptiert, was ist schon dabei?"
"Anerkannt, nicht adoptiert... Redenhardt war offiziell nur der Pate. Außerdem dürfte Adran der Lichtwelt der Feen doch ein wenig näher stehen als dem Lichte des Praios. Wenn er nicht gerade um ein besonders großes Sonnwendfeuer im Wald tanzt...was man ihm auch schon nachgesagt hat."
Ismena trieb die Gabel in die Forelle, die sich noch einmal kurz aufzubäumen schien. "Im Seekönigreich Cyclopäa ist es üblich, dass der Thronfolger eine Nacht im Feenwald verbringt. Wo er von den Dryaden einen Pinienzweig erhält, als Zeichen der Königswürde. Die Kirchen der Zwölfe nehmen an diesem Bund keinerlei Anstoß. Der Pinienhain, der daraus entstanden ist, neben dem Palast zu Rethis, er wird sogar von einem Geweihten der Peraine gepflegt."
"Der Seekönig bekommt seine Krone von Druiden? Ah...hm..."
"Dryaden... Baumfeen..."
"Ah...da passt der Name Birkenbruch ja...nur dass Adran kein Seekönig ist. Praiodane soll übrigens ein merkwürdiges Mal haben, auf der Schulter, wie zwei gedrehte Hörner...gleich einer verbogenen Gabel, sozusagen...ein Levthansgehörn?"
Ismena räusperte sich, nun doch etwas verstimmt. "Lieber Alrik, ich glaube nicht, dass Storko wirklich Interesse an jedem Klatsch und Tratsch aus der tiefsten Sichel hat."
"Nun, ungewöhnlich kommt mir das Gebaren des Barons schon vor", sagte der Wehrvogt. "Um nicht zu sagen..."
“Genug aber nun mit diesen Geschichten, Storko” unterbrach ihn Glyrana, obwohl sie in Wahrheit größtes Interesse an allen Untaten des Oppsteiner Barons hatte. “Wollen wir lieber über freudige Dinge reden, wie den anstehenden Traviabund unserer Baronin und auch unser Fest, bei dem wir uns über das Schlotzer Baronspaar als Ehrengäste geehrt fühlen würden.”
“Nun, ich kenne das Haus Oppstein nicht so gut.” begann Adginna, immer noch aufgebracht von der Unzucht, die ihr über Adran berichtet worden war. “Aber was man mir seinerzeit über Redenhardt erzählt hatte, nun ja, dass er auf eklatante Weise gegen die Gebote der Praioskirche verstoßen hat, da wundert mich das mit den Verstößen gegen Travias gute Sitten bei seinem Erben auch nicht mehr” murmelte die Vögtin. Wobei unschwer zu erkennen war, dass es mehr die Verstöße gegen Travias Gebote waren, die sie so erregt hatten. .
“Das ist mir allerdings neu, dass der Stadtvogt von Rommilys gegen die Gebote des Herrn verstoßen hat.” fragte Praiodin nachforschend. “Berichtet doch bitte mehr darüber!”
Die Vögtin hielt inne. Eigentlich hatte sie nicht vor, alte Geschichten hier auspacken, zumal sie alles nur vom Hörensagen kannte und sie sich sonst von Tratsch und Klatsch fern hielt. Warum nur hatte sie sich zu einer Bemerkung hinreißen lassen? Aber die Frage eines Geweihten des Sonnengottes konnte sie auch nicht unbeantwortet lassen.
“Euer Gnaden, verzeiht. Es ist nicht statthaft, gerade in Eurer Anwesenheit Dinge zu erzählen, deren Wahrheitsgehalt man selbst nicht überprüfen kann” versuchte Adginna sich heraus zu reden.
“Akzeptiert, Hochgeboren. Ich nehme zur Kenntnis, dass ihr niemanden anschuldigt und auch nicht Übles nachredet. Doch wenn ich Euch bitte, zu berichten, so tut dies. Die Kirche des Herrn kann sehr wohl zwischen Fakt und Gerücht unterscheiden, und wird, so es Not tut, genau prüfen. Wo, bitte sehr, hat der Stadtvogt gegen die Gebote des Praios verstoßen? Berichtet es mir!”
Die Neugier des Geweihten war geweckt. Aber noch vielmehr noch wollte er seine Autorität unter Beweis stellen. Würde die Vögtin ihm berichten, dann hieße das zugleich, dass er als Autorität anerkannt war. Vielleicht würde das seinem eigentlichen Ansinnen mit dieser Tsageweihten förderlich sein.
“Nun, Hochwürden, wenn Ihr es wünscht. Aber ich möchte vorweg sagen, dass ich nur das berichte, was ich vom verstorbenen Gemahl meiner Schwester vernommen habe. Und das das vor dessen Tod war, also schon etliche Jahre zurück liegt. Ansonsten, weder Valyria noch ich pflegen es, über andere zu tratschen. Es sind einfach Dinge, die man halt so hört. Immerhin war Valyrias verstorbener Gemahl der Stiefneffe Redenhardts. Naja… Baron Deggen von Gallys hatte Redenhardts Schwester Irmena Darina von Oppstein geehelicht und etwas später Raul, also Valyrias Ehemann, als Sohn adoptiert, um die Nachfolge in der Baronie Gallys zu regeln. Nun… Adoptionen sind ja nichts Ungewöhnliches in Adelskreisen... “ Alrik nickte bekräftigend zu dieser Aussage.
“Ja, sicher” stimmte Praiodin zu. “Aber kommen wir zum Wesentlichen.” forderte der Geweihte Adginna auf, weiter zu berichten.
“Nun, ja, lasst mich das ein wenig gedanklich sortieren. Meine eigene Hochzeit mit Tsafried fand nahezu zeitgleich mit der Hochzeit Valyrias mit dem jungen Baernfarn statt. Meine Familie hatte beides arrangiert, hatte damals erfolgreiche Familienpolitik betrieben. Und auch die Hochzeit mit den Gallysern hatte eine Vorgeschichte. Für das Haus Baernfarn war es eine schlichte Notwendigkeit, sich an ein stärkeres Haus zu binden. Nachdem sich diese Familie in der Answinkrise auf die Seite Hals, gegen den Grafen von Wehrheim, gestellt hatte, waren sie natürlich in Rommilys in Ungnade gefallen. Und dann war da noch die Sache mit der Gründung des Trutzbundes, aber davon kannst du, Alrik, sicher mehr berichten. Jedenfalls war der Gallyser Baron Deggen wegen Hochverrats verurteilt worden und hatte seinen Titel verloren. Nun ja, gerade deswegen waren die Baernfarns in der Not gewesen, einen Thronfolger aus dem Hut zu zaubern und diesen rasch mit einem starken Haus zu verheiraten. Diese Gelegenheit ergriff meine Familie.”
“So?” insistierte Praiodin. “Aber was hat das jetzt mit Oppstein zu tun?”
“Es ging damals um die Anklage gegen den Gallyser Baron. Die Verurteilung wegen Hochverrat und die Verbannung. Der verstorbene Raul beharrte stets darauf, dass sein Vater unschuldig sei, und dass die Anklage nur aufgrund der meineidigen Aussage zweier Adeliger im Baronsrang zustande kam. Redenhardt von Oppstein wäre einer davon und die Ernennung zum Stadtvogt von Rommilys wäre der Lohn dafür gewesen.” Adginna machte eine Pause “Aber, wie gesagt, ich möchte eigentlich nicht mehr darüber sagen, denn ich kenne all das nur aus zweiter Hand und ich habe auch kein Interesse daran, alte Zwistigkeiten wieder aufkommen zu lassen. Ich habe das nur berichtet, weil Ihr mich dazu aufgefordert habt. Aber, bitte, dringt nicht weiter in mich, ich kann nichts mehr darüber sagen.”
Praiodin nickte.
“Nun gut. Dieser Deggen… das ist doch jener, der als Rondrapriester auf Gernatsquell lebt? Dann sollte ich ihn befragen.” beschied der Geweihte.
“Ja, das ist er. Ob er Euch etwas sagen will, weiß ich allerdings nicht. Von ihm habe ich jedenfalls nie etwas über die Sache gehört. Was ich hörte, das stammt von Raul. Aber es scheint, als habe man sich im Hause Baernfarn auf ein großes Schweigen geeinigt, was dieses Thema betrifft. ”
“Gut. Es ist andererseits nichts Ungewöhnliches, dass ein Sohn zu seinem Vater steht, selbst wenn dieser etwas falsch gemacht hat. Woher wollte Raul denn das wissen? Und wer wäre der zweite Baron gewesen?”
“Diese Fragen lassen sich in einem beantworten. Eine Baronin von Bregelsaum hat einige Zeit nach dem Prozess, aber noch zu Lebzeiten Rauls, Deggen angeschrieben und ihm mitgeteilt, sie habe, vom Haus Rabenmund unter Druck gesetzt, sich zu diesem Meineid bewegen lassen und bat ihn um Verzeihung. Von ihr stammt auch die Kunde über den zweiten Meineidigen. Nun, Deggen hat der Bregelsaum auf jeden Fall verziehen und nie ein schlechtes Wort über sie verlauten lassen. Soviel steht tatsächlich fest.”
“Aber dieses Schreiben der Bregelsaum… existiert das noch? Dem käme ja Beweiswert zu?” forschte Praiodin weiter.
“Das entzieht sich meiner Kenntnis” beschied Adginna knapp. “Ich bin nicht der Archivar eines verbündeten Adelshauses, ich kann dazu nichts sagen.”
Alrik blickte verlegen auf seinen Braten. Einen Augenblick lang hatte er die Vision eines Kaninchens, das röchelnd in der Schlinge zappelte. Oder gerade von einem Frettchen totgebissen wurde. Die Ismena, die er kannte, würde die Anschuldigungen gegen ihren Bruder nicht ohne weiteres hinnehmen. Er blickte zur Oppstein, die gerade bei den Bäckchen der Forelle angekommen war und damit deren zartesten Fleisch. Der Eklat lag in der Luft. Fast war er mit den Händen greifbar.
Die Gießenbornerin ärgerte sich tatsächlich. Allerdings mehr darüber, dass sie vorhin ihre rahjagefällige Seelenruhe verloren hatte, als die Sprache auf Adran gekommen war. Jedes Fest sollte Freude bereiten, den Menschen wie der Schönen Göttin. Sollte erfüllt sein von Heiterkeit, Glück und Harmonie.
Stattdessen holten sie die Geister der Vergangenheit wieder ein. Kurz bevor die Drachenreiterin ihr Dorf überfallen hatte, war Ismena zugetragen worden, dass manche Bannstrahler bereits Informationen über die Adeligen der Sichel sammelten. War es wirklich Zufall, dass plötzlich dieser friedwanger Praiosgeweihte mit am Tisch saß? Was suchte der Goldrock hier in Schlotz?
"Euer Gnaden, glaubt mir, was immer man sich über das Haus Oppstein erzählt – das Doppelte davon ist wahr!" Ismena lächelte Praiodîn an, fast ein wenig verführerisch, während sie über ihren Becher linste.
"Nein ernsthaft. Ich bitte euch... Intrigen von vorgestern, so etwas kann einen völlig aus der Seelenruhe bringen, an einem Abend wie diesem. In dieser alten Geschichte gab es genau zwei Schurken: Der eine hieß Gernot von Friedwang. Ein borbaradianischer Verräter, der den armen Deggen zu Weidleth ins offene Messer hat laufen lassen. Der andere Übeltäter war Truchsess Ludeger von Rabenmund, als eigensinniger Bluthund der Fürstin. Ein übler Intrigant, der Beweise gefälscht und Adelige unter Druck gesetzt hat. Auf eine Weise, die man sich heutzutage gar nicht mehr vorstellen kann. Das waren doch Zustände wie in Al´Anfa damals... Ludeger war der siebte Sohn Answins, der später unserer guten Kaiserin Rohaja den Treueid verweigert und stattdessen mit dem Thronräuber paktiert hat. Auf den Silkwiesen bekam er die gerechte Strafe für Treulosigkeit. Alles andere müsstet ihr schon meinen seligen Bruder fragen. Aber Redenhardt ist leider viel zu früh in Borons Hallen eingegangen." Ismena schluckte. "Was er tat, tat er sicher nur für seine Familie... um Schaden von ihr abzuwenden... für alle seine Verwandten." Ein Blick traf ihre Namensvetterin.
Ismena von Baernfarn schluckte, als sie den Blick ihrer Tante auf sich spürte. „Ja, Tante Ismena, vielleicht hat er das. Vielleicht haben beide, Onkel Redenhardt wie auch mein Vater, nur das Beste für ihre Familien gewollt, und wurden tatsächlich gegeneinander ausgespielt. Vielleicht wünsche ich mir das auch nur. Vielleicht würde mir die Erklärung gefallen können, dass mit Ludeger und Gernot zwei erkannte Schurken Schuld tragen. Es würde sicher vieles leichter machen.
Ich war ein Kind, vielleicht zwei oder drei Jahre alt. Vielleicht auch schon vier. Zu klein, natürlich, um zu verstehen, was geschah. Meine erste Erinnerung an damals war, dass plötzlich meine Eltern beide nicht mehr da waren. Ich habe das als Kind nicht verstanden.“ Die Tochter von Deggen und Irmena Darina schluckte erneut, zwang einen Kloß im Hals in die Tiefe ihres Magens. Man sah ihr an, dass sie kämpfen musste, damit ihre Stimme nicht brach.
„Mein Vater, das hat man mir erklärt, war von der Fürstin verbannt worden. Aber wie hätte ich als Kind verstehen können, warum? Für mich war er immer der liebe Papa, der mich abends auf den Arm nahm und durch Burg Gallys trug. Der mir ein Holzschwert geschnitzt hatte, damals. Das muss ein Geburtstagsgeschenk gewesen sein. Aber plötzlich war er nicht mehr da. Plötzlich sollte mein Vater ein Verräter und Verbrecher sein? Wie soll man das mit vier Jahren verstehen?
Dann kamen die Gerüchte auf über das Urteil. Durch Zeugenaussagen zweier Barone, so hieß es in der Beweisaufnahme. Irgendwie hat jeder in Gallys, vom Tagelöhner über den Handwerker bis zum Kaufmann, meinen Onkel als einen dieser `Zeugen` verdächtigt. Da brauchte es keine Beweise. Es reichte, dass Onkel davon profitiert hat, dass er Kanzler des Bundes wurde und später Stadtvogt in Rommilys. Wen interessierten schon Fakten? Wer fragte danach, ob mein Vater wirklich schuldig war? Wer fragte danach, ob mein Onkel tatsächlich meineidig war?“
Ismena sah den Praiosprediger an.
„Niemand interessierte sich für die Fakten. Es reichte, eine Meinung zu haben. Man gehörte der einen oder der anderen Sichtweise an.
Aber auch meine Mutter ist an der Sache zerbrochen. Über Nacht war sie von der allseits geschätzten Baronin für die einen zur Ehefrau eines Verräters und für die anderen zur Schwester eines Meineidigen geworden. Sie… war nun weder eine Baernfarn noch eine Oppstein, jedenfalls fühlte sie sich weder den einen noch den anderen zugehörig.
Dabei hatte es mit ihr und Papa ja gut angefangen. Es war... tatsächlich Liebe, nicht nur eine politische Hochzeit, wie bei Dir, Tante Ismena, mit Junker Golo. Nein, es war eine tatsächliche Liebesheirat. Das hat Mutter mir später erzählt. Aber mit der Verbannung Deggens hatte sich alles geändert. Das Schicksal hatte Mutter den Ehemann und den Liebsten genommen.
Mutter hat die Sache nicht überwunden. Tagelang hatte sie sich eingeschlossen in ihrem Zimmer. Nächtelang hat sie geweint. Mein Zwillingsbruder Redenhardt und ich waren völlig allein. Wie können kleine Kinder auch verstehen, warum Vater und Mutter plötzlich nicht mehr für sie da sind?“
Ismena griff nach ihrem Glas und leerte es in einem Zug, wie um Trauer und Wut, die sie längst vergessen hatte, wieder herunter zu spülen.
„Ja, wenn Gernot und Ludeger die Verantwortlichen sind, dann weiß ich wenigstens, wen ich dafür hassen kann… Verzeiht, das ist jetzt sicher nicht damenhaft. Aber… Nein.“ Ismena hielt inne, blickte abwechselnd zu ihrer Tante, dann zu Glyrana.
„Mutter war danach nicht mehr dieselbe. Sie… hat sich verstoßen gefühlt. Verstoßen und verlassen von beiden Familien, ihrer eigenen ebenso wie von der Familie ihres Mannes. In ihrer Trauer war sie nicht mehr in der Lage, sich um Redenhardt und mich zu kümmern. Ich war zu klein, um es verstehen zu können. Später hat Mutter mir erzählt, dass sie mehrere Götternamen lang fast apathisch vor sich hin gelebt hatte.
Schließlich haben Valyria und Raul uns aufgenommen. Wir sind dann zusammen mit Alrike und Alrik Jodokus, Valyrias Kindern, aufgewachsen. Mutter habe ich danach kaum mehr gesehen. Sie… ich kann es nicht erklären, aber sie hat die Sache nie überwunden, sie war nicht mehr dieselbe. Ach, wie soll ich das sagen. Sie redete mit niemandem, noch nicht einmal mit Redenhardt und mir. Die meiste Zeit war sie in ihrer Kammer in der Burg, ließ sich von der Dienerschaft das Nötigste bringen, nahm anfangs noch nicht einmal an den gemeinsamen Speisen der Familie teil. Erst nach Monaten nahm sie wieder ihr Leben auf, erschien zum Abendessen oder zeigte sich entsprechend ihres Standes als ehemalige Baronin. Aber sie wirkte… teilnahmslos, freudlos. Erledigte ihre Pflichten mechanisch. Korrekt zwar, aber ohne Leidenschaft für die Sache. Es wirkte, als wolle sie weder in Gallys bleiben noch nach Oppstein zurückgehen. So als wäre ihr alles gleichgültig.
Ich weiß nicht, wer diesen sinnlosen Streit zwischen Baernfarn und Oppstein damals angefangen hat. Es ist mir auch egal. Aber an meine Mutter, meinen Bruder und mich hat dabei jedenfalls niemand gedacht. Ja, Hochwürden Praiodin, da hat Eure Kirche mehr als Recht. Sich gegen die reichsgefällige Ordnung ebenso wie gegen die Pflicht zur Wahrheit aufzulehnen, bringt nur Unheil.
Nun, liebe Tante, warum siehst du mich so an? Wie darf ich deinen Blick deuten? Ich habe meinen Onkel nie kennengelernt, wie soll ich also einschätzen, was damals gewesen ist? Meinen Vater habe ich danach zwölf Jahre lang nicht gesehen. Als er als Ritter der Göttin zurück kehrte nach Darpatien war er ein anderer Mensch als ich ihn in Erinnerung hatte. Wie soll ich wissen, welche Fehler er vielleicht Jahre zuvor gemacht hat? Und Mutter Irmena? Habe ich auch fast nicht mehr gesehen, auch wenn sie immer noch auf Beornsried lebt.“ Wieder blickte Ismena in die Runde, als Suche sie Beistand oder Zustimmung, die sie nicht fand.
„Meine Eltern habe ich nur noch einmal gemeinsam gesehen, damals auf der Reise nach Albernia. Immerhin hatten sie es geschafft, für mich als harmonische Eltern aufzutreten, wenigstens für ein paar Wochen während der Brautschau in Havena. Danach sind sie beide wieder ihrer Wege gegangen. Papa nach Gernatsquell zu Valyria, und Mutter nach Beornsried zu Gerhart von Weißentraut.“
Wieder atmete sie kurz aus und ließ ihre Augen unruhig von einem zum anderen wandern.
„Nun, Tante Ismena, was soll ich noch sagen. Ohne diese leidige Intrige damals wären meine Eltern vermutlich heute noch ein liebendes Ehepaar, Deggen wäre jetzt noch Baron in Gallys und ich die gesetzte Thronerbin als seine älteste leibliche Tochter. Gleichzeitig wäre ich die älteste Tochter der ältesten Schwester des Barons von Oppstein und, da dieser keine legitimen Kinder hat, auch dort Thronerbin. Aber das sind unnütze Gedankenspiele. Lasst uns den alten Hader endgültig begraben, der so viel Unheil angerichtet hat.“
Ismena sah ihre Namensschwester ausdruckslos an. “Wie ich schon sagte, der Schurke in dieser Angelegenheit war allein Ludeger. Insofern müssen wir, die wir hier sitzen, keinen Hader begraben und brauchen uns auch nichts vorzuwerfen. Es waren harte Zeiten, für uns alle. Aber der Anstifter des Unheils hat seine gerechte Strafe erhalten, nicht wahr, Euer Gnaden?”
Praiodîn nickte ernst, aber nur, um nicht sofort antworten zu müssen. Ihm schwirrte der Kopf, was nicht nur an seiner Verwundung und dem süßen Schnaps aus Renias Feldflasche lag. Zu viele Namen, zu viele Adelige, die Verräter oder Schurken genannt wurden… Menschen, zu denen das Volk eigentlich voller Ehrfurcht aufschauen sollte. Immerhin, er würde Hochwürden Garafanion einiges erzählen können, bei der Rückkehr.
"Answins siebter Sohn". Alrik lächelte in seinen Metbecher. "In Friedwang heißt es, der siebte Sohn eines siebten Sohnes wird Hexer, Druide oder Schwarzmagier. Leider kann ich zu dieser `alten Geschichte´ nur sehr wenig beisteuern. Allerdings war ich damals in Oppstein dabei, als Adran Redenhardt herausgefordert hat. Während dessen Hochzeitsfeier mit Elissa von Berlinghan. Ein Herz und eine Seele waren die beiden nicht gerade. Da wurden durchaus Schwerter gezückt. Adran ist ja der Sohn von Redenhardts älterem Bruder Wisshard. Der schon zur Zeit der ersten Answin-Tyrannei auf Seite des Usurpators gestanden hat. Seine Mutter war übrigens eine geborene von Mersingen, Glyrana. Eine gewisse Jostarne. Sollen beide im Bürgerkrieg umgekommen sein. Was mich immer gewundert hat, ist, dass die Berlinghâns bei dieser Scharade mitgemacht haben: Redenhardt adoptiert Adran und akzeptiert ihn als Nachfolger, nur wenige Stunden nach seinem Traviabund mit Elissa. Springt man so mit dem Methumiser Herzogenhaus um?"
Der Friedwanger hatte sein Kaninchenschlegel abgekaut und warf den Knochen auf den Teller. "Grundlage des Ganzen war ein Dokument der Fürstin Irmegunde, demzufolge die Thronfolge nach Wisshards Tod auf Redenhardt übergehen sollte. Außerhalb, aber auch unbeschadet der üblichen Erbfolge – die Erben seines Bruders galten da noch als verschollen. Hm, entschieden hat diese Regelung allerdings das Haus Oppstein. Da stellt sich die Frage: Wer dürfte heute im Namen der Familie sprechen, falls die Erbfolge unsicher erscheint? Die Mehrheit vielleicht?"
Ismena von Oppstein schüttelte unwillig den Kopf: “Die Erbfolge in Oppstein erscheint mir nicht unsicher. Das Haus Birkenbruch spielt da auch noch eine gewichtige Rolle. Die Zwercher haben einiges investiert, um Adran vor seinen Feinden zu retten, bei der Oppsteiner Fehde. Rimhold von Birkenbruch ist damals sogar zu Boron gegangen, in der Schlacht um Drachweiler, als Landvogt von Zwerch. Seine Nichte Thahira wird ihren Anteil am Baronsthron nicht ohne weiteres hergeben wollen. Jedenfalls nicht kampflos.”
Alrik schnaubte: “Mein Schwager Corelian hat damals noch versucht, durch Adrans Verhaftung das Schlimmste zu verhindern. Ich selbst habe mir einen Armbrustbolzen eingefangen, in diesem sinnlosen Waffengang…” Auch noch auf der Seite Adrans, dachte der Mondschatten. Nachdem seine Gemahlin Serwa völlig eigenmächtig friedwanger Waffenknechte und -mägde in den Kampf um den Drachenthron geführt hatte. Oder besser gesagt, ins belagerte Drachweiler, zu ihrem geliebten Adran. Er selbst war damals buchstäblich zwischen die Fronten geraten, als er versucht hatte, seine Landeskinder wieder in ihre Heimat zu führen.
“Die Markgräfin wird jedenfalls nicht sehr erbaut sein, wenn der alte Zwist wieder hochkocht. Die Baronien Echsmoos und Immlingen waren ebenfalls in diesen Krieg verwickelt. Es wäre wirklich die Frage, ob man nicht wieder so etwas wie einen Sichelbund ins Leben ruft, um derartige Streitereien zu schlichten. In unserem Sinne, versteht sich...” Der Baron von Friedwang lächelte füchsisch. Dann fiel ihm der Praiosgeweihte wieder ein. “Im Sinne von dauerhafter Ruhe und Ordnung im Sichelhag, wollte ich sagen.”