4. Kapitel
Viertes Kapitel
Die Brauerei von Rommilys
Zweiter Tag
Praios schien an diesem Frühlingstag schon am frühen Morgen kräftig, und ein laues Lüftchen wehte das Darpattal hinauf. Die Gefährten hatten sich in den Hof der Taverne an einem Tisch zum Frühstück versammelt. Um diese Stunde hatten sie den Hof ganz für sich alleine gehabt. Der Wirt brachte frisches Fladenbrot. Oliven und Käse gab es reichlich, auch Schinken und Butter wurde aufgetischt. Milch, die noch warm vom Melken war, rundete das Frühstück ab. Einfach, aber nach dem Geschmack der fünf Gefährten. Hesindian setzte sich neben Alrik. Es war offensichtlich, dass die beiden, obwohl sie sich länger nicht gesehen hatten, gute Freunde waren. „Ein Glück, Hesindian, dass ich dich getroffen habe“ begann Alrik. Dank deinem Heilzauber brauche ich mich jetzt nicht mehr maskieren. Die Pusteln sind weg. Ich fühle mich wie neugeboren.“ Ohne den Ausschlag sah Alrik ganz manierlich aus, fand Haldana. Etwas verwegen, der Gesichtsausdruck. Aber auf alle Fälle nicht mehr so abstoßend wie zuvor mit seinem von Krankheit oder Gift entstelltem Gesicht. Ein frisches Hemd dazu, eine Schärpe und seinen Degen wieder an der Seite - naja, im Augenblick natürlich nur die leere Scheide - so konnte er glatt wieder unter die Leute gehen. „Schön“ brummte der Magus. „Allerdings kann ich das von mir nicht behaupten. Ich fühle mich schlapp wie ein ausgehungerter Selemer Tagelöhner. Doppelt schlapp. Von der Rauchvergiftung ist mir immer noch speiübel. Ich habe Schädelweh und alle meine Glieder schmerzen. Aber nicht nur das .Ich fühle mich komplett kraftlos.
Also nicht nur körperlich, wenn du verstehst. Eines sage ich Dir, was immer das war, womit man dich vergiftet hat, es war eine ausgesprochen zähe Sache. Das war ein sehr potentes Gift, das muss ein meisterlicher Alchemist gefertigt haben. Nichts Übliches jedenfalls. Kann nicht ausschließen, dass auch schwarze Magie mit am Werk war. Der Heilzauber hat jedenfalls meine Kraft komplett aufgebraucht. So leer habe ich mich seit damals auf Maraskan nicht mehr gefühlt. Es wird ein paar Tage dauern, bis ich wieder zaubern kann.“ Sein weißes Haar stand dem Magus wirr nach allen Seiten hin ab. Auch die graue Reisekutte hatte eine Reinigung nötig. Nicht nur, dass sie abgewetzt wirkte wie von einer langen Reise. Vor allem stank sie - wie nicht anders zu erwarten war - entsetzlich nach Rauch. Seinen Stab Nasrulgîn hatte er an die Wand der Taverne gelehnt. Man sah Hesindian die Erschöpfung an. Tiefe Augenringe ließen ihn übermüdet wirken. Und die Wangen waren eingefallen. Dazu einige Brandblasen, die das heiße Metall der Rüstung auf der Haut des Magus verursacht hatte. „Du hast`s üb ́rlebt, Magus“ warf Haldana ein. „Kannscht den Gött`rn dank`n, dass Rovik di g`funden hat.“ Die Bardin, die sich für ihre beiden Begleiter verantwortlich fühlte und sie auch ein wenig bemutterte, wollte die Heldentat des Zwergen nicht unter den Tisch fallen lassen. „Das stimmt natürlich“ bestätigte Hesindian. „Rovik, ich konnte mich gestern noch gar nicht wirklich bei Dir bedanken. Aber du hast definitiv etwas gut bei mir. Wenn du irgendwann die Hilfe eines Zauberers brauchst, lass es mich wissen.“ Hesindian war kein Meister darin, seinen Dank auszudrücken, und er stand auch nicht gerne in der Schuld eines anderen. „Auch wenn ich im Augenblick zumindest nicht mehr zaubern kann...“ Der Angroschim brummte freundlich, sagte aber nichts, und biss ein großes Stück vom Fladenbrot ab. Dann schenkte er sich Milch in einen Becher. „Wer hat eigentlich eine Rüstung von Baskhan Arvo so verunstaltet?“ brachte Rovik schließlich heraus. Es fiel ihm leichter, über die Schmiedekunst zu reden als über die Ereignisse von gestern. Er war niemand, der die eigene Leistung in den Vordergrund stellte. „Das ist eine Gestechrüstung allererster Güte, naja, für einen menschlichen Schmied jedenfalls. Die nur zur Zierde in den Saal zustellen und dann noch zum Aufklappen...“ Rovik nahm einen Schluck, um sich nicht in Rage zureden. „Nun, die Rüstung wurde für meinen Ahnen gefertigt, Gerrich von Friedwang. Also den Vater des ersten Gemahls meiner Frau, dieser Thronräuber Gernot... Ach was, Verwandtschaftsgedöns halt. Für eine Rüstung hatte er aber keine richtige Verwendung. Er war schließlich ein Magier und kein Krieger. “ antwortete Alrik. „Jedenfalls hat er, so erzählte man mir, immer wieder Kontakte mit verschiedenen anderen Angehörigen der Magischen Zunft gehabt. Und dabei waren wohl auch Zauberer, die, naja, vermutlich nicht gerade der Weißen Gilde angehört hatten. Jedenfalls hatte Gerrich immer auch die Angst, dass er von einem eingeladenen Magier selbst verzaubert werden könnte. Oder Opfer eines magischen Angriffs wurde... Oder vielleicht hatte er auch einmal Magier gefangen und zum Verhör gehabt. Es sind wirre Geschichten, die ich über meinen Ahn gehört habe, und ich weiß auch nicht genau, was davon stimmt. Jedenfalls hat er andere Magier mitunter in der Rüstung eingesperrt, um gefahrlos mit ihnen reden zu können. Oder diese verhören zu können. Du musst, wissen, die meisten Magier können nicht zaubern, wenn man sie in Eisen legt. Daher hatte die Rüstung einen Mechanismus, den man nur von außen bedienen kann. Naja, diesem Gerrich hat das Haus in Rommilys jedenfalls gehört, bevor ich es geerbt habe. Der ist schon vor einer Weile verstorben... Na dachte ich zumindest. Aber wenn das stimmt, Hesindian, was du gehört hast. Wenn das keine Phantasie deiner Rauchvergiftung war“ „Keineswegs, ich bin mir da sicher, was ich gehört habe“ antwortete der Magier. „Auch wenn ich es nicht ganz begreife. Dieser Gerrich und diese Schwarze Hexe wollen die Seuche zum Ausbruch bringen“ fasste er zusammen. „Ich habe es immer noch nicht ganz kapiert. Aber sie wollen erst Friedwang bekommen und dann gegen die Fürstin putschen. Und um das zu schaffen brauchen sie Geld. Daher wollen Sie diese Seuche verbreiten und sich ihre Fähigkeit zur Heilung vergolden lassen. Klingt der Plan nur so wirr oder ist er es tatsächlich? Aber, bei Hesinde, so eine Geschichte können wir doch niemandem erzählen, die schicken uns doch zu den Noioniten, ohne jeden Beweis. Gerrich ist angeblich tot, jetzt aber lebt er als Paktierer oder so etwas wieder. Klar, man kann den eigenen Tod
vortäuschen. Aber da brauchen wir schon mehr Greifbares, wenn wir uns damit an die Obrigkeit wenden wollen. Selbst du als Adeliger mit aller Reputation, die dein Stand mit sich bringt, mit so einer Räuberarmbrust brauchst selbst du niemandem zu kommen!“Alrik nickte. „Aber den jungen Baernfarn, den müssen wir informieren. Nicht zuletzt, wenn dieser Raberto tatsächlich einen Handlanger in der Brauerei hat. Das ist immerhin stichhaltig, mir wurde ja auch was ins Bier gegeben. Das passt zusammen. Und die Alte vom Baernfarn scheint gute Verbindungen zu haben in der Stadt. Die wird schon wissen, wie man etwas bewegt in Rommilys. Wenn wir sie so weit gebracht haben, dass wenigstens sie uns glaubt.“
„Das klappt scho`. Du gehsch ja sowieso heut` in d` Brauerei. Den Jodokus wirst` scho beschwatz`n können. S`isch v`leicht e gute Idee, wenn i mitkimm. D`r Schnös`l hat mi oiwei so a`guckt. Konnt` sei Aug`n nit wo and`rs hi richt`n.“ Im Kreis ihrer Gefährten fiel Haldana wieder in ihren gewohnten Dialekt zurück „Un du musst zu` Garde. Imm`rhi hasch du dei Ährewort geb`n, heut` zu komm`n“ ergänzte Haldana. Alrik sah sie verständnislos an. „Ehrenwort? Welches Ehrenwort?“
„Also, nit du. Ab`r dei Double. Im Stadtpark am Heilig`n Birnbam, hat doch da Tuvok g ́seit. Da hän di Gardist`n doch glaubt, dasch des du bisch. Ohne Üsschlag, ohne Pust`ln. Also kannsch du hingeh`n und des klär`n, damit die Gardist`n nit me fahnd`n nach dir. Üsschlag hast du ja au nit mehr, da kann der Korvid di gern` untersuch`n. Und zudem kannsch du klarstell`n, dass des nit da Tuvok war mit da Brandstiftung. Dabei kannst` glichzitig die Gardist`n infomier`n, dass ebber di Lüt vergift`t mit so`n grüna Zeug. Muss` ja nix von de Verschwörung sag`n. Aber die Sach mit`m Gift kanns ja darleg`n.“Haldana fuhr sich mit der Hand durch die noch ungekämmten Haare.
Alrik nickte. Unrecht hatte Haldana nicht. Ohne Beweis etwas von einer Verschwörung orakeln, das machte sicher keinen Sinn. Aber dass die Obrigkeit etwas erfahren soll von einem Giftanschlag, das konnte nicht schaden. Bevor etwas an ihm hängen blieb... und das würde es sonst, denn wie sollte er später erklären, vergiftet worden zu sein, wenn er das nicht bei der Wache anzeigte? Und der Part mit dem Gift immerhin war ja bewiesen. Auch der Hausbrand. Da würde die Garde ihm sicher glauben, dass ihm jemand übel mitspielen wollte. Die Namen Raberto und Marike konnte er der Garde bedenkenlos mitteilen. Die hatten sicher andere Möglichkeiten, die beiden dingfest zu machen. Mit ein wenig peinlicher Befragung würden die in der Zelle schon zum Singen anfangen. Alrik nickte und piekte sich mit dem Stilett zwei Oliven auf, die er genüsslich mit dem Brot verzehrte. Tuvok rollte sich eine Scheibe Schinken „Gut, Haldana. Der Vorschlag klingt gut. Dann werden wir mal zuerst bei der Garde den Mist klären .Ich habe keine Lust, mich dauerhaft zu verstecken. Danach in die Brauerei. Kann ich verstehen, dass der junge Baernfarn dich anstiert... wenn er zuhause mit einer Großmutter verheiratet ist. Sicher keine so angenehme Art, sich Geld und Einfluss zu verdienen. Aber da muss er halt durch, der Schnösel“ wiederholte Alrik die Bezeichnung, die Haldana schon verwendet hatte. Willst du zur Garde auch mitkommen? Schätze es ist besser, wenn wir uns nachher treffen für den Weg zur Brauerei. Die Büttel müssen nicht alles wissen.“
„S ́isch recht, Alrik. I werd` am Gäns`markt wart`n.“
„Was ist mit dem Schleicher, den ich verfolgt habe?“ wollte Tuvok wissen. „Der passt nicht auf deine Beschreibung von Gerrich, Hesindian. Kein schleimiger Kloakentyp, auch wenn er stank. Sah manierlich aus.“
„Vergiss nicht, er ist ein Magier“ erklärte Hesindian. Kann sein, dass er in meinem - seinem – Haus seine wahre Gestalt gezeigt hat, aber dann gegenüber der Garde sich gewandelt hat. Illusionszauber, Harmlose Gestalt, dergleichen Zauberwerk ist möglich. Kann ich aber jetzt nur vermuten. Oder hast du irgendwelche Zaubergesten gesehen, die du beschreiben kannst?“ Der Jäger schüttelte den Kopf. „Dann“ fuhr Hesindian fort „haben wir es jedenfalls mit mindestens vier Gegnern. Hochgeboren Gerrich und die Hexe, sowie deren Handlanger Raberto und Marike. Ach ja, und noch einen in der Brauerei. Aber der wird nicht viel wissen, vermutlich nur ein käuflicher Niemand. Also fünf. Jedenfalls soweit wir bislang wissen.“
„Um Raberto und Marike wird sich hoffentlich bald die Garde kümmern“ ergänzte Rovik. „Und ich hoffe mal, dieser Stutzer von der Brauerei hat seine Gesellen und Knechte im Griff und findet heraus, wer sich da hat kaufen lassen.“ „Ist zu hoffen“ sagte Alrik. „Aber der hilft uns wohl auch wenig weiter. Mehr als Raberto belasten kann er vermutlich kaum, und den kennen wir ohnehin schon. Naja, vom Hörensagen.“
„V ́rgiss nit, Alrik, da Schnös`l hat ihn scho gsi. Er hät ihm ja sei Geldbeit`l gstohla. V`leicht kanner ihn näha b`schreiba“ mutmaßte Haldana
Alrik schlenderte über den Neuen Markt der Fürsten...nein, Grafenstadt Rommilys und genoss für einen Moment den Praiosschein und das Stadtleben. Unter buntgestreiftem Tuch hatten die Händler ihre Marktbuden geöffnet, quiekende Schweine streiften umher, Gänse watschelten über das Pflaster, Kühe und Darpatbullen muhten auf ausgelegtem Stroh. Ab und an ratterte ein schweres Fuhrwerk vorbei. Es wurde gefeilscht, gelacht, getratscht. Gaukler vollführten ihre Späße, spuckten Feuer, jonglierten oder liefen auf Stelzen. In der Ferne grollten die Ochsenwasserfälle. Der Marktpranger war leer, was irgendwie zur guten Laune des Streunerbarons beitrug.
Das Wachhaus der Stadtgarde - seines Wissens befand es sich am Greifenplatz. Aber irgendwie war ihm der Gedanke unangenehm, sich in die Höhle des Löwen zu begeben. Oder besser gesagt in den Greifenhorst, wimmelte es da oben doch doch von Bannstrahlern, Informations-Magiern und Praiosgeweihten. Die Gardisten, die Tuvok gestern Nacht verhört hatten, waren offenbar aus der kleinen Wachstube am Stadthaus gekommen: der Residenz von Stadtvögtin Linai. Einen Moment lang wurde dem Friedwanger schwer ums Herz. Deren Vorgänger war Baron Redenhardt von Oppstein gewesen, der Bruder Ismenas. Vor einigen Jahren war er überraschend verstorben. Alrik hatte nie ganz in Erfahrung gebracht, was die Ursache gewesen war: "Titelsucht", hatte Serwa vermutet, im grimmigen Spott. Aber er war in den letzten Jahren zur Genüge mit den Friedwanger Wirren beschäftigt gewesen. Eigentlich war es der Gedanke an Ismena, seine geliebte Ismena, die ihm einen melancholischen Seufzer entlockte. Als sich Varenas Horden Gießenborn genähert hatten, war sie ins Oppsteinsche geflohen, seitdem hatte er nichts mehr von ihr gehört.
Irgendwie kam er sich wie das Relikt eines vergangenen Zeitalters vor. Der sich durch eine Welt bewegte, die ihm noch vertraut vorkam, aber schon nicht mehr die seinige war.
Einen Augenblick lang überlegte er sich, was wohl wäre, wenn der falsche Alrik bei den Gardisten am Greifenberg vorsprechen würde und er unten am Marktplatz. Oder sie sich beide am gleichen Ort über den Weg laufen würden. Nun, Gerrich (Alrik zweifelte nicht, dass er der Doppelgänger gewesen war) würde wohl kaum so dreist sein, in der Praiosstadt Magie zu wirken, noch dazu als übelriechender Dämonenknecht. In der Nähe von Haus Friedwang war er jedenfalls nicht gesehen worden: offenbar beabsichtigte Gerrich nicht, vollends in seine Rolle zu schlüpfen.
Der Mondschatten hatte gerade noch einmal in der Bockengasse vorbeigeschaut und die Versorgung der Pferde geregelt. Die Schäden am Stadthaus hielten sich dank Hesindians Eingreifens in Grenzen, zumindest außerhalb des völlig ausgebrannten Rittersaals. Bewohnbar war die völlig verräucherte und verrußte "Residenz" allerdings nicht, höchstens, er wollte sich in der Scheune einquartieren oder in seiner Kutsche. Also hatte er dafür gesorgt, dass der Haupteingang zugenagelt wurde, und einen Stallknecht aus der Nachbarschaft angeheuert.
Nun ging er auf die Wachstube am Markt zu. Einige Tauben flatterten vor der Eingangstür hoch.
Ein Weibel saß an einem großen Empfangstisch, mit buschigem Schnauzbart, und polierte seinen Birnhelm. Der Phexgeweihte sah die Gittertür einer Arrestzelle, einen großen Tisch mit Karten und Würfelbecher, ein paar Hellebarden und Schwerter steckten in einer weitgehend leeren Halterung. Dazu kam ein Schreibpult, an dem eine Schreiberin gerade ihren Federkiel spitzte. Steckbriefe hingen an der Wand. Der Rest der Garde schien unterwegs zu sein.
"Die Zwölfe zum Gruße" Ein knapper Gegengruß. Das Fenster war weit geöffnet, man konnte den Markt gut überblicken.
"Mein Name ist Alrik Tsalind von Friedwang-Baernfarn-Glimmerdieck. Baron zu Friedwang.“
Die beiden Stadtwachen erhoben sich, grüßten etwas eifriger. Der Weibel wies ihm den Stuhl.
"Mit was können wir Euch dienlich sein, Herr Baron?"
Alrik stutzte für einen Moment, erleichtert, dass keine Fragen kamen wie "Aber Ihr ward doch gerade eben erst da - wie konntet Ihre Eure Gewandung so schnell wechseln?"
"Nun, ich wollte mich melden, wegen dieser leidigen Geschichte, mit dieser angeblichen Krankheit."
"Sicher, sicher, habe davon gehört. Aber da solltet Ihr vielleicht besser in der Hauptwache vorstellig werden, Euer Hochgeboren...oder am besten gleich im Spital?"
"Nun, wie ich der Gardistin von der Nachtwache schon erklärt habe, bin ich mittlerweile vollkommen gesund."
"Soso, jaja. Wie überaus erfreulich..." Der Schnauzbärtige runzelte die Augenbrauen. "Und erstaunlich, wenn ich das mal so sagen darf. Nun gut, es ist momentan ruhig in der Stadt. Wir können Eure Aussage auch hier und jetzt zu Protokoll nehmen."
"Um ganz genau zu sein, hat mich mein Hofmagus von der Krankheit geheilt. Nachdem ich offenbar Opfer eines Giftanschlags wurde. Der von zwei Rommilyser Schurken verübt worden ist: Raberto und Marike."
"Ah, der Gustlfinger… und die Maraske." Der Weibel lehnte sich verschmitzt lächelnd zurück. "Die Marike hängt da hinten an der Wand, von unserem Raben haben wir leider noch keine brauchbare Beschreibung, für ein Porträt. Sind wohl ein Diebespärchen, die beiden." Der Unteroffizier wies auf einen der Steckbriefe. Alrik folgte der Blickrichtung. Tatsächlich, die Maraske war gar nicht so schlecht getroffen.
"Giftanschlag?" Der Gardist beugte sich wieder vor, die Hände zusammengefaltet, als wolle er den Mondschatten ins Gebet nehmen. "Passt gar nicht zu den beiden. Obwohl, beim Gustlfinger und seiner Braut weiß man nie. Dieser Langfinger aus Andergast macht ständig Ärger. Sein Liebchen hatten wir auch schon ein paar Mal zu Gast. Wo soll das passiert sein?" Ein Wink zur Schreiberin, die Habacht-Stellung annahm und ihren Federkiel ins Tinten-Fäßchen tauchte.
"Im Phexens Finger. Drüben im Katzloch…"
"Im...Finger? Hmm-hmm. Soso..." Der Weibel trommelte unruhig mit den Fingern auf den Tisch. "Keine gute Gegend, Euer Hochgeboren, leider keine gute Gegend. Wir nennen diese Schenke auch den Schlimmen Finger, wenn Ihr versteht, was ich meine?"
"Eine längere Geschichte.Wie Ihr wisst, bin ich Ritter des Gänseordens, und habe nach Möglichkeiten gesucht, den Armen zu helfen", sagte Alrik und wunderte sich selbst, wie glatt ihm diese Halbwahrheit über die Lippen kam. Ganz gelogen war es ja nicht - bei dem dreckigen Geld war es schon um die Aufbesserung der Baroniekasse gegangen. Allerdings war er sich nicht mal sicher, ob der Gänse-Orden überhaupt noch existierte.
"Schnauzbart" schien es recht zu sein. Er nickte, mit ausdruckslosem Gesicht.
"Bei dem unglückseligen Treffen wurde mir wohl etwas von dieser...Maraske ins Bier geträufelt. Ein Gift, das Beulen wie bei den Zorganpocken vorgetäuscht hat. Mehr noch, gab es gestern Nacht auch noch einen Brandanschlag auf mein Stadthaus."
"Ich habe davon gehört. Bedauerlich, überaus bedauerlich. Gesine, was kam bei der Überprüfung dieses Jägers heraus?"
"Marvin hat davon berichtet, ja. Hat Quartier im Flusschiffer bezogen, zusammen mit einer Bänkelsängerin und einem Zwerg." Die Schreiberin ging zu einem Regal, unter einem Porträt von Markgräfin Svantje, und suchte nach einer Kladde."Ah, hier ist die Notiz. Laut Gästebuch des Wirts handelt es sich bei dem Zwerg um einen gewissen Rovik, ähm, Sohn des Vulkanus. Außerdem eine Haldana....Er hieß...Turok...nein, Tuvok...Tuvok, ja. Nicht gerade Praiosgeweihte, aber bislang auch nicht aktenkundig. Abenteurer, wie es scheint."
"Ich weiß", sagte Alrik. "Es war wirklich nur ein Missverständnis gestern Nacht. Habe da selbst Erkundigungen eingezogen. Ich habe mich bei Tuvok entschuldigt und alle drei in meine Dienste gestellt. Als meine, äh, Leibwachen…"
Der Wachhabende hob die Augenbrauen, etwas ungläubig. Offenbar hatte seine Kollegin den arroganten, herrischen Baron anders geschildert.
"Als Leibwachen, soso. Sicher, sicher, in diesen Zeiten...."
"Nun, dass mir da jemand schaden möchte, gelinde gesagt - das ist doch wohl offensichtlich?!" fügte Alrik hinzu.
"Gewiss, gewiss. Der Brand in Eurem Stadthaus ging, öhött, recht glimpflich aus, habe ich gehört? Auch für die Nachbarn?"
"Ja, dank des schnellen Eingreifens meines Hofmagiers."
"Dieser Hesdan di Silvos da irgendwas...ich habe gestern bereits mit ihm gesprochen." Der Schnauzbärtige nickte eifrig. Fast schon beneidete Alrik ihn für sein ausdrucksloses Gesicht. Ein geborener Boltanspieler...
"Laut Nachtwächterin gab es Hinweise, dass Euer Magier sich im Haus aufgehalten hat", hakte Gesine, die Protokollantin nach. "Wie schreibt sich dieser Magus noch einmal?"
Die Stimme der Schreiberin klang so spitz wie ihre Feder, die sie gerade erneut ins Tintenfass tauchte.
Alrik war für einen Moment perplex. Da hätte er sich wirklich gleich oben bei den Bannstrahlern melden können. Oder bei der KGIA und FDEA, wenn es die noch gegeben hätte. Manche Traditionen starben nie.
"Hesindian Silpho ya Phaitos. Mein Hofmagier, aber auch ein guter Freund. Ich verbürge mich für seine Integrität."
"Ya mit Y oder J?"
"Mit Y…"
"Nun, das Haus war versiegelt und der Zugang strengstens verboten. Da habe ich den Hochgelehrten Herrn ausdrücklich darauf hingewiesen." Der Weibel versuchte streng zu blicken.
"Hesindian wollte vielleicht noch ein paar Dinge aus dem Haus retten. Da war das Siegel sicher schon längst geschmolzen… dazu kann ich leider nichts sagen, ich habe ja in der Zwischenzeit den Brandstifter verfolgt. Sicher ist, dass dieser Raberto und die Maraske ein Attentat auf mich verübt haben. In wessen Auftrag auch immer…"
"Nun denn, ich denke, wir können es erst mal dabei bewenden lassen". Der Weibel faltete die Hände über seinen Bauch. "Glaubt mir, wir würden den Raben und die Maraske liebend gerne hinter Schloss und Riegel sehen. Die Liste ihrer Schandtaten ist lang. Wo finden wir Euch, falls es noch Fragen geben sollte?"
"Nun, ich habe mich bis auf weiteres ebenfalls im Flussschiffer einquartiert".
Wenig später stand Alrik wieder auf dem Marktplatz. Wahrscheinlich war es gerade das erste Mal gewesen, dass er sich nicht als Beschuldigter in einer Wachstube der Stadtgarde befunden hatte. Sondern als Geschädigter. Beiläufig zog er die Gugel aus seiner Umhängetasche und streifte sie sich über.
"Und, wie ischs g´laufe?" wollte Haldana wissen, am vereinbarten Treffpunkt, am Gänsemarkt.
"Dafür, dass ich gestern noch wie ein Aussätziger behandelt worden bin, nicht schlecht." Der Phexgeweihte tastete durch sein Gesicht. Er konnte es immer noch nicht glauben, dass diese Plage verschwunden war. Auch sonst schien sein gewohntes Glück zurückgekehrt zu sein. Sendrik, der junge Bierkutscher, kam gerade um die Ecke gefahren. Offenbar hatte er gerade einige Fässer ausgeliefert. Nun war er, mit Leergut, zurück auf dem Weg zur Brauerei. Der Mondschatten lüpfte die Gugel wieder und grüßte. Nach einer Weile erkannte ihn der Bursche. Man plauderte ein wenig, Alrik berichtete von seiner Heilung und dass er auf dem Weg zum Brauhaus sei. Er wolle mit einem Fässchen Bier seine Genesung feiern. Der arglose junge Bursche schien regelrecht begeistert zu sein.
Alrik nahm auf dem Kutschbock Platz, das Gesicht wieder unter der Gugel verborgen. Haldana setzte sich auf eines der leeren Fässer und sicherte nach hinten. So rumpelten sie nun recht vergnügt durch das vormittägliche Rommilys.
Dennoch, als Alrik all das Volk um sich sah, die kleinen Krämer, Gemüsebauern, Gastwirte, Kesselflicker, Scherenschleifer, Pergamenter, Metzger, Bäcker und andere Handwerker, schwand seine gute Laune doch etwas. Wenn Gerrichs finsterer Plan aufging, würde bald Chaos, Panik und Aufruhr über die beschauliche Welt der Rommilyser hereinbrechen. Wie würde der "Hexer von Rommilys" vorgehen? Um Tausende Rommilyser zu verseuchen, würde es größere Mengen von dem Giftzeug brauchen. Ein Gift, das schwer zu handhaben war. Sicher, der Handlanger konnte die Menge strecken, immer wieder mal etwas ins Bier träufeln - aber das erhöhte die Gefahr, dass er entdeckt werden würde, ungemein.
Nach einer Weile rollten sie in den gepflasterten Brauereihof ein, wo sie zur Abwechslung mal kein Pestgestank, sondern der würzige Duft nach Hopfen und Malz empfing. Die Schröter waren damit beschäftigt, Bierfässer in den Keller zu rollen. Dass da drüben war wohl das Malzhaus mit der Darre, zum Trocknen der gelbbräunlichen Körner, die dann in eine Kurbelmühle kamen. Daneben stand das halboffene Sudhaus, wo in großen Kesseln Maische gerührt, gekocht und in Bottiche geschöpft wurde, zum Abkühlen. Der Sinn einiger Gerätschaften erschloss sich ihm nicht, aber er war ja auch Baron und Endkunde, kein Brauer. Was ihm auffiel, war, das fast überall Wehrheimer Sauberkeit herrschte. Der Boden in den Gebäuden bestand aus Steinfliesen, überall wehte ein frisches Lüftchen.
Besonders schwierig war der Zugang zum Kessel oder den Bottichen nicht. Allerdings, wer hier mit größeren Mengen von alchimistischen oder gar schwarzmagischen Ingredienzen hantierte, tat dies im hellen Praioslicht. Nicht nur, dass ihn jeder sehen konnte - die Morfunellos, wie Alrik die wandernden Giftbatzen getauft hatte, schienen empfindlich gegen Sonnenschein zu sein. Im Bierkeller war es wahrscheinlich dunkler.
"Hopfen und Malz, Frau Peraine erhalt´s!" Sendrik stieg gut gelaunt ab. "Wir sind da!" fügte er überflüssigerweise hinzu.
Ein etwas verschlagen blickender Mann mit Bart und krummen Zähnen begrüßte Alrik und Haldana auf dem Hof, die sich kurz vorstellten. "Ich bin Tiro der Mälzer", sagte der Bärtige gut gelaunt. "Jodokus erwartet Euch bereits, drüben im Bräustüberl."
Tatsächlich, der junge Edelmann saß in einer kleinen Wirtsstube, und ließ nach der Begrüßung erst einmal Bier auftischen: "Meister Krummbachers Darpatperle" wie der Patrizier freudestrahlend verkündete. Es wurde angestoßen.
"Meister Krummbacher?" fragte Alrik.
Jodokus war schon dabei, mit der Sichlerin zu schäkern, deren natürliche Art ("Ja freili is das lecker!" "Zum Wohle!") ihn kaum weniger anzuregen schien als das bernsteinfarbene, süffige Bier.
"Unser Braumeister" nickte der junge Baernfarn und wischte sich etwas Schaum von den Lippen. Alrik war sich keinesfalls sicher, ob es nur Bierschaum war. Haldana knabberte, etwas zurückhaltender, an einer Brezel.
"Perlt eigentlich gar nicht so sehr" Alrik schlürfte geräuschvoll. "Für Gerstensaft namens Darpatperle, meine ich. Aber schmecken tuts, bei allen Zwölfen"
"Naja, alles eine Frage der Werbung. Die Darpatperle ist nun mal die beste Adresse in Rommilys. Entsprechend glauben die Leute, dass Darpatperle das beste Bier der Stadt ist. Was ja auch stimmt! Ist der beste Trunk in unserem Sortiment. Das erste Bier, das wir ans Hotel liefern durften. Prosit!"
"Prosit!"
Die Zinnkrüge klirrten. Alrik trank erneut, und betrachtete die Gravuren unter dem Klappdeckel, die eine firunsgefällige Jagdszene zeigten.
"Wirklich sehr bekömmlich, nach all den Aufregungen der letzten Zeit", versuchte der Friedwanger das Gespräch auf den eigentlichen Grund ihres Hierseins zu lenken. Zumindest seines Hierseins.
"Haldana hat mir davon berichtet." Nur widerwillig widmete der Baernfarn seine Aufmerksamkeit dem Baron.
"Vielleicht sollten wir uns darüber besser unter fünf Augen unterhalten...sozusagen." Alrik tippte auf seine Augenklappe.
Der Baron musterte den Sohn Deggens von Gallys. Die vertrauten Züge eines Odilon oder Veneficus waren in seinem Gesicht noch zu erkennen, ein klein wenig ähnelte er auch Serwa. Dennoch, der Bruder der amtierenden Baronin von Gallys zählte zu einer anderen, jüngeren Generation. Gutaussehend, ein wenig schnöselig. Schien ehrgeizig zu sein und geschäftstüchtig. Ein Stadtmäänsch, hätte der alte Ziegen-Bluntschli gesagt, oben auf seiner Alm, und weiterhin seine Pfeife gepafft. Jodokus schien den Baron nur mit wohlwollendem Interesse, nicht als wirklich engen Vertrauten der Familie zu betrachten.
Der Rommilyser gab der Schankmaid Anweisung, die Tür zu schließen und bis auf weiteres niemanden einzulassen.
"Nun denn, Euer Hochgeboren. Haldana" - ein turtelnder Blick - "hat mir bereits erzählt, was Euch widerfahren ist. Da hat jemand versucht, den Verdacht auf das Haus Baernfarn zu lenken?"
"Alrik...ich denke, wir können Du sagen" sagte der Friedwanger. Jodokus nickte, nach kurzem Zögern. Der Baron fasste noch einmal zusammen, was seit dem gestrigen Tag geschehen war.
"Es gibt Grund zu der Annahme, dass diese Sisa Brundel und der Hexer Gerrich planen, das Bier deiner Brauerei zu vergiften. Durch einen gedungenen Handlanger. Die Storchenschwingen werden dann als Retter in der Not auftreten, mit einem vermeintlichen Wunderheiler, der die Kranken in kürzester Zeit genesen lässt. Mit Hilfe von Kräften, die nichts mit Peraines Gnade zu tun haben. Die Siechen werden Opfergaben und Spenden bringen, an die vermeintlichen Heiler. Wahrlich ein niederhöllisches Schurkenstück. Die Verschwörer kassieren ab - und machen Alveran zugleich viele gutgläubige Seelen abspenstig. Mögen die guten Zwölfe uns beistehen! Wer erzdämonischen Kräften opfert oder ihnen huldigt, und sei es unwissentlich, verleiht ihnen bereits Macht. Nur weil wir die Siebte Sphäre nicht sehen, heißt es nicht, dass sie nicht jeden Tag, jede Nacht aufs Neue ihre Klauen und Tentakel nach uns ausstreckt. Selten treten ihre Abgesandte offen auf. Die Finsternis der Dämonen, sie schleicht sich heimlich in unsere Seelen, Herzen und Gedanken. Wie eine Seuche, die uns nicht von außen überfällt, sondern sich in uns selbst ausbreitet. Sich durch uns verbreitet." Der Phexgeweihte merkte, dass er, beschwingt vom Bier, gerade zu predigen begann. Kopfschüttelnd hielt er inne und klappte den Deckel zu.
"Wie auch immer. Ich könnte mir vorstellen, dass die vermeintliche Heilung im Schwarzen Spital stattfinden soll. Als Verführung zum Unglauben an die Faulige Monarchin des Ewigen Siechtums, in welcher Form auch immer."
Jodokus knabberte an einem Salzgebäck. "Schwarzes Spital? Davon habe ich noch nie gehört", sagte er lapidar. "Nur von der Brauhexe..."
"Du kennst die Schwarzhexe?"
"Die nicht. Man sagt, wenn das Bier beim Brauen verdirbt und bitter schmeckt...dann wurde es von einer Tochter Satuarias verhext." Jodokus lächelte. "Ich vermute, so was liegt an der Rezeptur. Nicht an Hexenwerk."
"Auch Hexen haben ihre Rezepte. Hast du irgendeinen Verdacht, wer von deinen Knechten oder Mägden zu einem solchen Verrat fähig wäre."
Der Rommilyser lehnte sich zurück, verzog den schönen Mund. "Weiß man im Voraus, wer zu Verrat fähig ist? Ein schwerwiegender Verdacht, den Ihr...den du da äußerst." Dem Mehrheitseigner der Brauerei war anzumerken, dass er im Moment mehr die Rufschädigung als eine Vergiftung fürchtete. "Das Gift ist lichtempfindlich, sagst Du? Und stinkt zum Peraineerbarmen? Nun, dann könnte eine unbemerkte Vergiftung eigentlich nur in den Lagerräumen stattfinden...aber selbst da ist es schwierig. Die Spundlöcher öffnen und ein Gift hineingießen, das nach Pest und Schwefel stinkt? Alles nicht so einfach. Es hat auch nicht jeder Zugang zum Keller. Außer den Bierschrötern, aber die haben alle Hände voll zu tun und keine Zeit für solche Schurkereien."
"Der Braumeister?"
"Meister Krummbacher? Für den lege ich meine Hand ins Feuer. Außerdem hat er eine äußerst feine Nase. Der würde jeden Gestank sofort merken. Im Sudhaus wie im Bierkeller. Und nicht nur das. Glaubt mir. Krummbacher kriegt mit, wenn sein Bier plötzlich nach Jauche und Dämonenschwefel schmeckt..." Der junge Adelige schien in jeder Hinsicht erheitert zu sein.
"Was ischt mit di Gutschner?" fragte Haldana, ebenfalls beschwingt. Jodokus blickte verständnislos.
"Die Fuhrknechte" nickte Alrik. "Guter Punkt. Die Bierkutscher hätten Gelegenheit, das Gift unbemerkt in die Fässer hinein zu träufeln." Einen Moment lang dachte er an Sendrik, der angeblich versehentlich ins Katzloch abgebogen war. Was, wenn dessen gutmütige Art nur Maskerade war? Immerhin hatte er bereits Kontakt zu zwei "Storchenschwingen" gehabt.
Jodokus schüttelte den Kopf: "Habt Ihr schon einmal unsere Stadtvögtin gesehen, wie sie sich abmüht, wenn sie zum Jahrmarkt das erste Bierfass anzapfen soll? Redenhardt soll da geschickter gewesen sein, oder der alte Godefried...Es ist gar nicht so einfach, ein Fass aufzubekommen, sobald der Zapfen erst mal im Spundloch sitzt. Vor allem müsste der Zapfen danach wieder ins Fass. Ohne dass jemand etwas merkt. Halte ich für ausgeschlossen…"
"Womöglich kommen wir über Raberto an diesen Handlanger ran...Du hast ihn doch gesehen, am Immanstadion?"
"Hab bei so was kein allzu gutes Gedächtnis" Jodokus zuckte mit den Schultern. "Allerweltsgesicht halt...Mein Dukatenbeutel hätte ich aber schon gerne wieder. War der einzige mit Wappen, und ein Geschenk von Alrike. Irmelinde ist ganz gut im Zeichnen, vielleicht kann meine werte Gemahlin dir weiterhelfen. Tut mir leid, ich hab mit so was wenig Erfahrung. Knechte und Mägde gibt es in der Brauerei genug. Ob die alle sauber sind? Wer das wüsste. Kein Helles oder Dunkles ohne Träber."
"Träber?"
"Der Abfall beim Läutern der Maische...wird an die Schweine verfüttert. Manchmal kommt er auch in den Brotteig. Ich kann euch ja mal das Brauhaus zeigen. Aber fangt da draußen ja nicht von Gift und Dämonenwerk an. Die Konkurrenz schläft nicht. Von der Zunft ganz zu schweigen. Wenn jemand fragt, seid ihr halt einfach Kunden."
Alrik nickte und stand leicht schwankend auf. Eine Brauereiführung, warum nicht? Vielleicht half ihnen ja "Inquisitionsrat Zufall" weiter.
Sie traten hinaus auf den Hof, wo gerade Mittagspause herrschte. Zumindest hatte die hektische Betriebsamkeit deutlich nachgelassen. Ein bärtiger dicker Mann mit Lederschürze, roten Wangen und Stoffkappe eilte herbei.
"Ah, werter Herr Jodokus, gut, dass ich Euch sehe..." Ein flüchtiger Gruß in Richtung der Gäste. "Die Stammwürze beim Schwarzen Bären passt jetzt. Dieser Niederberger Hopfen...na ich weiß nicht. Aber die Lieferung in die Straße der Gastlichkeit bekommen wir rechtzeitig fertig".
"Sehr gut, Krummbacher". Jodokus nickte, nun wieder ganz schnöseliger Stadtadeliger. Verstohlen blickte er sich um, nach etwaigen Ohrenzeugen. "Sonst irgendetwas vorgefallen? Etwas...Ungewöhnliches, meine ich?"
"Nun...von der Maus, die gestern in den Maischbottich..."
"Ich weiß. Gut abkochen, das Bier. Am besten ohne Maus. Ich meinte eigentlich etwas....wirklich Ungewöhnliches? Die Leute sind zufrieden? Kein Ärger...?"
Der dicke Mann schien die Frage als Tadel zu empfinden. Zumindest schaute er irgendwie betrübt drein.
"Nein, Herr Jodokus, nichts dergleichen."
Erst jetzt sah Alrik, dass der Braumeister ein Amulett um den Hals trug: einen sechszackigen Magierstern. Sofort war seinen Misstrauen wieder erwacht.
"Ein Bierstern, kein Hexenwerk...ein altes Brauerzeichen" raunte ihm Jodokus ins Ohr, der seine Verwunderung bemerkt hatte. "Steht für die Vereinigung, von Feuer und Wasser". Letzteres hatte er wieder laut gesagt, mit Blick auf Haldana. Die musterte derweil ausgiebig und scheinbar überaus interessiert ein Braupaddel, das gegen die Wand lehnte.
"Wusste gar nicht, dass mein Hofmagier unter die Bierbrauer gegangen ist", versuchte Alrik einen Scherz, und wunderte sich über sich selbst. Gerade hatte er noch die bohrenden Fragen der Stadtgarde beantwortet - nun sah er selbst schon überall Verräter und Schurken. Gerrichs Dackel war vermutlich bösartiger gewesen als der gemütliche Meister Krummbacher.
Der Braumeister blickte hin und her - von Jodokus zu der Fremden mit ihrer merkwürdigen Frisur bis zum spitzbärtigen Mann mit der Augenklappe. "Kundschaft, aus den Sichelbergen" sagte der junge Baernfarn lächelnd. "Herr Alrik und Frau Haldana sind wirklich gute Freunde. Könnten sie einmal einen Blick in den Bierkeller werfen?"
"Gewiss. Jetzt wo Ihr es sagt: Einer der Schröter hatte einen kleinen Unfall. Das Fass ist ihm geradewegs über den Fuß gerollt. Zum Glück eines von den kleinen… Hinkt, ist aber kein Fall für den Medicus."
Beim Wort Medicus zuckte Alrik zusammen.
"Ach ja. Im hinteren Keller fangen ein paar Fässer schon wieder das Schweißen an… die für die Lieferung an die Darpatthermen."
"Nicht schon wieder einen Pichtag..." Jodokus seufzte. "Wir warten lieber bis zum Herbst."
"Hab das Fass ausgeleuchtet. Das Pech ist schon ganz rissig, in einem Dutzend Fässer. Da ist das Bier im Nu verdorben..."
"Der Pichtag". Der Baernfarn blickte zu Alrik. "Das alte Pech wird erhitzt und durch das Spundloch abgelassen. Dann kommt frisches Pech rein. Die Lehrlinge müssen das Fass schwanken und drehen, bis sich alles ordentlich verteilt hat. Eine mühselige Arbeit. Vor allem wird an einem solchen Tag nicht gebraut. Das kostet uns dann ein paar schöne Dukaten". Letzter Satz galt dem Braumeister. "Sicher, dass es euch Brauern und Mälzern nicht einfach nur ums frisch gepichte Bier geht?"
"Bier aus einem frisch gepichten Fass ist wirklich ein Gedicht", nickte Meister Krummbacher.
"Ja, nur trinkt ihr dann alles selber", murrte Jodokus. "Das kostet mich auch einige Taler. Als ob ihr nicht genügend Haustrunk mit nach Hause schleppen würdet. Morgen kommen wieder leere Fässer aus Neuborn, die müssen halt ordentlich gereinigt werden. In der Fasswichse müssten auch noch ein paar stehen."
"Fasswichse?" Haldana begann zu kichern.
"Ich hab das Wort nicht erfunden, liebe Haldana. Der Fassreinigungsraum. Da werden die Dinger ordentlich durchgeschrubbt." Wieder himmelte Jodokus die Schwarzsichlerin an. "Also gut, gehen wir mal runter ins Gewölbe, jetzt, wo die Knechte und Mägde alle in der Burschenstube sitzen, stehen wir niemandem im Weg. Aber viel zu sehen gibts da unten eigentlich nicht. Nur Fässer und Eis, für das Untergärige. Ist kalt wie auf der Baernfarn im Winter."
"Eis?"
"Ja. Firun ist noch immer der Schutzgott unseres Hauses", sagte Jodokus, ohne jede Ironie. "Auch der Rommilyser Baernfarns. Die Brocken werden im Winter am Ochsenwasser geschlagen. Heuer hatten wir etwas Pech...der Winter war ungewöhnlich warm."
"Pech und Schwefel, das ist es" murmelte Alrik geistesabwesend.
"Wie meinen?"
"Pech und Schwefel. Natürlich." Der Mondschatten schnippte mit den Fingern. "Wo Pech ist, da fällt Schwefelgestank nicht auf."
Jodokus warf Alrik einen warnenden Blick zu. Der hatte tatsächlich ganz vergessen, dass er eigentlich Stillschweigen über "Tlalucs Brodem" bewahren wollte. Dennoch war der Geweihte nun in seinem Element, wie ein Fuchs, der Witterung aufgenommen hatte.
"Wo wird das Pech gelagert?"
"Das Pichpech?" Meister Krummbacher runzelte verständnislos die Augenbrauen.
"Alrik und Haldana sind Freunde, die ebenfalls ins Brauergeschäft einsteigen wollen", sagte Jodokus hastig. "In der Sichel. Nun kommt schon, danach werden wir ausgiebig Euren Schatz im Keller bewundern."
Der Braumeister sperrte eine kleinere Tür am Hof auf: "Hier hinein".
Tatsächlich drang sofort der scharfe Geruch nach Harz oder Teer an die Nasen der Besucher. In einer kleinen Kammer standen, neben einer Schubkarre, mehrere Fässer, deren Ränder schwarz verschmiert waren. Ein kleines Fenster sorgte für schummriges Dämmerlicht.
Alrik öffnete ein Fass: Es war randvoll mit schwarzem, glänzendem Pech. Das roch wirklich scharf, aber das war es auch schon. Was hatte er erwartet? Er tauchte den Finger hinein, ließ ihn abtropfen. Von der Konsistenz her war das Zeug dem Morfunello-Schleim gar nicht mal so unähnlich.
Haldana griff zu einer Art Schöpfkelle, und rührte damit in der zähen, klebrigen Masse herum. Die Sichlerin schrie erschrocken auf, als etwas...Glibbriges aus dem schwarzen Brei auftauchte, und sofort wieder daran verschwand. Wie ein Fisch...oder eine grüngelbe Qualle. Eine Qualle mit einer Art von Füßchen. Übler Schwefel- und Fäulnisgeruch breitete sich in der Kammer aus.
"Ist das dieses Gift?" keuchte Jodokus und presste sich ein parfümiertes Tüchlein vor die Nase. "Ihr hattet Recht. Das stinkt ja widerlich."
"Wusste ichs doch." Alrik pochte seitlich gegen das Fass, aber das Etwas kehrte nicht wieder. "Pech und Schwefel..."
"Aber Gift bewegt sich nicht" stotterte der Baernfarn.
Haldana war nach draußen gelaufen und kehrte nun mit dem Braupaddel sowie einem Tuch vor Mund und Nase zurück. Meister Krummbacher wollte sie noch aufhalten, aber die Abenteurerin rammte den Schaft bereits ins Pech, als wolle sie Speerfischen. Durchaus mit Erfolg. Weiteres grünliches Etwas spritzte heraus, teilweise auf den Boden.
"Gütige Frau Peraine" keuchte Krummbacher und taumelte entsetzt nach draußen. Als er die Tür zur Gänze öffnete, fiel der Lichtschein geradewegs auf die grün-schwarzen Batzen. Zischend verdampfte der grünliche Teil der Lache.
Ein Würgen und Pflatschen verriet, dass sich der Biermeister draußen erbrach. Auch Jodokus war kurz davor, seinem totenbleichen Gesicht nach zu urteilen.
"Die Brauerei war die ganze Zeit so schön sauber", kommentierte Alrik, der seine Nase ebenfalls mit der Gugel bedeckt hatte. Er kannte das "Gift" ja schon zur Genüge.
"Dieses Dämonenzeugs versteckt sich also im...Fasspech?" keuchte Jodokus.
"Ich habe fast das Gefühl, es ist das Pech", sagte Alrik, der damit wirklich mehr einer Intuition folgte. "Zumindest ein Teil davon. Haldana, kümmerst du dich mal um den Braumeister. Nicht das das Ganze noch mehr Wellen schlägt. Wo kommt das Fasspech her?"
"Von den Pechsiedern in den Bergen. Wir kaufen es auf dem Markt. Die Fässer kamen heute Vormittag an, kurz bevor ihr aufgetaucht seid."
"Scheint so, als würden wir geradezu vom Pech verfolgt". Der Friedwanger zog die Rührstange heraus - und merkte, dass der Schaft vollkommen verfault war. Alrik schaute sich das Fass genauer an. Drehte es ein wenig, so dass er auch die Unterseite sehen konnte. Tatsächlich, dort sah er ein verschlungenes Zeichen, mit Punkten, Haken und Strichen, aufgemalt mit grüner Kreide.
Hm. Nun hätte er gerne Hesindian bei sich gehabt, aber der war völlig ausgebrannt. Sah nach einem Beschwörungssymbol aus. Er verwischte es mit der Hand, was mühelos gelang. Die Farbe schien ziemlich frisch zu sein. Der Friedwanger setzte seine Untersuchung bei den übrigen vier Fässern fort. Alle hatten sie die Glyphe auf der Unterseite. Dann fiel sein Blick auf eine kleine Schatulle, unter der Schubkarre. Der Friedwanger öffnete sie: mehrere Phiolen kamen zum Vorschein, allesamt leer, außerdem ein großer Glastrichter, ein Zettel, der das Dämonenzeichen zeigte, und ein Beutelchen mit Zauberkreide, die eindeutig benutzt worden war.
"Was hat das alles zu bedeuten?" wollte Jodokus wissen.
"Der Glastrichter wird eigentlich benutzt, um Pech und Wasser voneinander zu trennen", sagte der Mondschatten. "Habe ich zufällig mal in der Sichel gesehen, bei einem Pechbrenner. Das Pech treibt nach oben, das Wasser fließt unten heraus. So ein Trichter wäre ideal, um dieses Stinkzeug in ein Fass zu bekommen. "
"Und...die Zeichen?"
"Was Schwarzmagisches, befürchte ich...müsste sich Hesindian mal genauer anschauen."
"Aber wer zum Namenlosen..."
"Die Frage ist: Wer hat heute morgen das Pech hergebracht? Und woher hatte er es?"
"Nun, eigentlich kaufen wir das Pech immer erst, wenn wir es brauchen. Wegen der Brandgefahr. Meistens im Herbst, kurz vor dem Pichtag."
Alrik nickte. Nun war alles klar.
Er ging nach draußen, wo Haldana gerade dabei war, den blassen, zitternden Meister Krummbacher zu beruhigen, und ihm einen Krug Bier einzuflößen.
"Na, ich hoffe es geht Euch wieder besser?" Alrik tätschelte dem Bierbrauer aufmunternd die Schulter. "Da ist Euch wohl gehörig der Schreck in die Glieder gefahren, gerade eben?" Der Friedwanger hob die rechte Hand des Rommilysers. Die Fingerkuppen schimmerten in einem zarten Kreidegrün.
"Pech gehabt, wie?", knurrte Alrik und drehte Krummbacher den Arm auf den Rücken, ohne auf die erschrocken dreinschauende Haldana zu achten. "Was soll das werden? Meister Krummbachers neue Geheimrezeptur? Na dann Prost."
Alrik schleifte seinen Gefangenen wieder in den Lagerraum. "Das ist dein Werk, nicht wahr? Jodokus, machst du mal die Tür zu? Der Braumeister… ausgerechnet. Nicht irgendsone kleine Ratte… der Meister persönlich."
"Ah, so lasst mich doch los. Was wollt ihr von mir...?" jammerte der dicke Mann.
"Nun, ich hatte erst vor kurzen so einen Pechklumpen im Bier. Ich weiß also, wie das schmeckt. Wer hat dir das Zeug angedreht? Um was gings da? Gold? Bezahlt man dich nicht genug? Spucks aus, oder ich geb dir von deinem neuem Dunklen zu trinken. Oder gleich vom leckeren Grünbier, dass du uns da zusammenbrauen willst..." Der Geweihte verdrehte den Arm noch ein wenig mehr und drückte Krummbachers Gesicht in Richtung des Pechs. Das tropfte den Unglücklichen bereits von der Nase, die nun eher schwarzglänzend war als rot.
"Gnade. Erbarmen. Dieser Gustlfinger wars… ich wusste doch nicht, dass er so ein Schurke ist."
"Ja, so kann man sich in einem Menschen täuschen. Dass wussten wir von dir auch nicht, bis gerade eben..."
"Ich bin kein Dämonenknecht. Das bin ich nicht." Krummbacher begann zu schluchzen. "Sie halten Selina gefangen, meine Gemahlin, und die Kinder… wollen sie in Stücke schneiden, wenn ich nicht gehorche." Der Dicke weinte nun hemmungslos.
Jodokus war ebenfalls völlig verstört. "Aber, Meister Krummbacher… das ist ja eine Katastrophe", sagte er mehrdeutig.
"Wir müssen diesem Raberto unbedingt das Handwerk legen" sagte Alrik. "Ihm und der Maraske. Langsam reicht es mir mit den beiden. Wo hast du die Pechfässer her?"
"Da, wo er mir auch die Eisblöcke verkauft hat. In einer Schwarzbrennerei an der Stadtmauer, nicht weit weg von Phexens Finger. Eine üble Kaschemme im Katzloch…"
"Jaja, die kenne ich. So was nennt man wohl einen Fingerzeig des Phex."
"Dachte, er wäre ein Freund...einer vom Grisefux...mit besonderen Beziehungen halt...hat immer wieder geholfen, als es der Brauerei dreckig ging, im Krieg. Mal dies organisiert, mal das. Hat mir Treber abgenommen, für seinen Selbstgebrannten. Dafür Schnaps geliefert, um das Bier ein wenig zu strecken. Manchmal hat er bei den Wirten dafür gesorgt, dass sie uns das gepanschte Bier abkaufen. Eichzeichen gefälscht, und solche Sachen. Mehr nicht… und jetzt fängt er an durchzudrehen!"
"Mehr nicht?" Jodokus blickte entsetzt. "Davon wusste ich nichts."
"War schon vor Eurer Zeit", stöhnte Meister Krummbacher. "Irgendwie mussten wir die Brauerei doch durchbringen, als alles den Darpat runterging. Aber dass er derart brutal ist..."
Alrik ließ seinen Gefangenen los. "Ich glaube, ich muss mich doch mal nach Andergaster Eiche erkundigen".
Jodokus und der Krummbacher schauten Alrik verständnislos an.
„Eichenholz verwenden wir auch für die Fässer“ warf Krummbacher ein. „Aber das Holz für unsere Fässer beziehen wir aus den Wäldern am Darpat oder aus den Trollzacken. Aus Andergast Holz einzufahren macht keinen Sinn. Oder hat das Andergaster Eichenholz eine abtötende Wirkung auf diese Giftbatzen?“
„Nein… das meinte ich nicht“ erwiderte Alrik. „Hast du eine Ahnung, wo deine Familie gefangen gehalten wird? Oder wer sie festgesetzt hat?“
„N..nein. Ich habe nur mit dem Raberto gesprochen. Selina ist nicht mehr daheim, Ilara und Travian sind auch weg, seit neun Tagen schon. Dieser Raberto hat gesagt, dass ich sie wieder sehe, wenn ich seine Anweisungen befolge. Heute Abend zur achten Stunde soll ich ihn in Phexens Finger treffen und ihm berichten. Die Fässer sollen ja morgen gepicht werden, damit sie nach dem nächsten Brautag befüllt werden können. Das ist die Lieferung, die für die Ochspo während dem Frühlingsmarkt gedacht ist.“
„Praiosverflixt noch mal“ entfuhr es Jodokus. „Wo soll ich so schnell ein Dutzend neue Fässer her bekommen. Diese verschluderten Fässer taugen doch nur noch als Brennholz. Mit Reinigen allein wird es bei dem stinkenden Giftschleim nicht getan sein. Ich gehe da kein Risiko ein. Ein guter Ruf ist in meinem Geschäft das Wichtigste. So Panschereien wie früher, Bier mit Schnaps gestreckt oder anderes, darauf lasse ich mich nicht ein. Und die Ochspo ist ein Besuchermagnet, Sicher die größte Einzellieferung dieses Jahr für die Brauerei. Bei dem Geschäft darf nichts schief gehen.“ Jodokus redete, was er eigentlich nur denken wollte. Aber in der Aufregung merkte er das nicht. „Nun, ich habe schon eine Idee für Ersatzfässer. Ich muss mit…“ Jodokus hielt inne. „Aber später. Krummbacher, was mache ich jetzt mit Ihm? Er ist ein guter Braumeister, aber so wie die Dinge stehen kann ich Ihn nicht weiter beschäftigen.“
Krummbacher wurde blass. Aber was konnte er sagen. „Ich… ich könnte als Lockvogel mitspielen. Dann kann dieser Raberto vielleicht gefasst werden. Und dessen Auftraggeber. Bitte helft mir, Herr Jodokus. Nicht für mich, aber wenigstens für meine Familie.“
Jodokus blickte seinen Braumeister ernst ins Gesicht, sagte aber nichts und seufzte nur.
„Die Idee mit dem Lockvogel ist allerdings gut“ warf Alrik ein und kratzte sich über der Augenklappe. Wir wissen, wo Raberto heute Abend sein wird und mit wem er sich trifft.“
„Ab`r wir wiss`n nit, ob wir em Krummbach`r v`rtraue kenne oder nit.“
„Das stimmt, Haldana“ ergänzte Jodokus. „Krummbacher, gehe Er in das Sacklager und warte dort. Ich werde mich hier beratschlagen, unter fünf Augen, versteht sich. Sei er unbesorgt, Krummbacher. Ich vergesse nicht, was er in den vergangenen Jahren geleistet hat. Ich werde in Ruhe eine Entscheidung treffen. Aber er hat die Möglichkeit, die Entscheidung zu seinen Gunsten zu beeinflussen, wenn er kooperiert.“
„Sehr wohl, Herr Jodokus.“ Meister Krummbacher nickte und tat wie befohlen. Das Sacklager war ein Nebenraum im Fasskeller, kein weiterer Ausgang und mit einer schweren Bohlentür verschließbar. Jodokus legte den Riegel vor.
„Nun können wir in Ruhe beratschlagen“ sagte Jodokus. „Wenn wir uns hier an den Schafftisch setzen sind wir weit genug weg vom Sacklager. Krummbacher kann uns nicht belauschen.“ Jodokus führte Haldana und Alrik zum Schafftisch, einem großen, aus einem halbierten Fass gefertigten Tisch in einer Nische des Kellers, der eigentlich als reine Ablage diente. Aber für eine unbemerkt abgehaltene Besprechung war die Nische gut geeignet. Keine Fenster, keine Luken, keine Zuhörer.
„Wir können diesem Raberto eine Falle stellen.“ Gewiss wird er zum Treffen mit Meister Krummbacher kommen, wenn er keinen Verdacht schöpft. Dazu muss aber alles hier unauffällig weiter so laufen, wie bisher. Es darf niemand Verdacht schöpfen.“
Jodokus nickte. „Ich habe ohnehin den Diebstahl meiner Börse bei den Bütteln angezeigt. Wenn wir wissen, wann und wo man diesen Raberto finden kann, wird die Garde ihn festnehmen können. Unter der Anschuldigung des Taschendiebstahls. Da muss gar nicht die Rede von irgendwelchen anderen Verschwörungen sein. Mein Einfluss reicht weit genug in dieser Stadt. Und kein Büttel oder kein Zuschauer wird von etwas anderem erzählen können, als dass ein Dieb festgenommen wurde. Wenn er dann erst mal im Loch sitzt findet sich eine Möglichkeit, ihn zu verhören. Verhören zu lassen durch einen loyalen und sicher nicht geschwätzigen Büttel.“
„Das mag gehen, mein lieber Jodokus“ warf Alrik ein. „Aber das ist Teil Zwei des Plans. Teil Eins ist die Festnahme. Und wenn ein halbes Dutzend Büttel im Finger warten, wird Raberto nicht kommen. Das Volk dort erkennt Büttel, auch wenn sie mal nicht in Rüstung und Wappenrock auftreten sollten.“
„Dann wird er wohl kaum kommen“ stimmte Jodokus zu. „Aber er wird sicher auch misstrauisch werden, wenn er Dich sieht. Diese Maraske kennt dich, und es ist anzunehmen, dass sie auch irgendwo sein wird.“
„`N Zwerg uf Sauftur, des isch sich`r unauffällig“ warf Haldana ein. „Mich kennt ´r au nit. Un` d`r Tuvok… den hat `r au nit gsi, d`r Raberto. Blos d` Gerrich, ab`r ob d`r ihn sich g`merkt hat... Wir drü könnt`n scho hi. Und i spiel sowieso f`r Geld in de Tavernen.“
„Und mein Hofmagus auch. Hesindian wirkt abgerissen genug, um in so einer Kaschemme nicht aufzufallen. Dann hätten wir vier, die in den Phexfinger können. Allerdings ist gut möglich, dass Raberto nicht allein dort hinkommt, sondern sich mit Handlangern absichert.“
„Nun, er rechnet zumindest nicht mit Schwierigkeiten. Aber natürlich kann das sein. Mindestens diese Marike wird wohl auch dort sein. Hmm, aber Du hast Recht. Mit vier Personen eine Festnahme durchführen kann schwierig werden. Zwei Festnahmen erst recht. Das wird in einer Schänke wie dem Finger nicht ohne eine Keilerei abgehen.“
„D`r dicke Krummbachr wird au dort si“ warf Haldana ein.
„Richtig.“ Aber den sollten wir nicht einplanen“ erläuterte Alrik. „Es geht um einen Diebstahl. Jedenfalls offiziell. Krummbacher soll weiterhin den eingeschüchterten und um seine Familie besorgten Braumeister spielen. Am besten, er bekommt eins mit dem Knüttel übergezogen, wenn es zur Keilerei kommt. Sonst verrät er sich nur und damit auch, dass das Komplott bekannt ist. Und bringt unnötig seine Frau und die Kinder in Gefahr. Nein, es ist viel besser, wenn dieser Schurke Gerrich und wer noch alles mit dabei ist, sich weiter sicher und unbeachtet fühlt. Da wurde eben im Finger ein Taschendieb gefasst. Na und? Kommt vor. Den Gustlfinger fangen ist für uns ein Zwischenschritt. Besser wir lassen die restliche Verschwörung außen vor und machen nicht unnütz weitere Pferde scheu.“
„Ich kann mit Irmelinde reden. Sie soll sofort bei der Garde vorsprechen und den Raberto auf die Fahndung setzen lassen. Mit Zeichnung. Ich werde fünf Dukaten Belohnung für die Ergreifung des Taschendiebs aussetzen. Weitere fünf, wenn mein Erbstück, die Börse mit Familienwappen gefunden wird. Für zehn Golddukaten wird so mancher im Katzloch seine eigene Mutter verraten. Mit den Steckbriefen gehen dann zwei Büttel am Abend durch die Stadt und hängen diese an den üblichen Anschlägen aus. Auch im Katzloch. Dort hängt man die Anschläge üblicherweise an die Linde gleich neben dem Finger. Auch wenn da sonst nichts Offizielles lange hängen bleibt. Auf jeden Fall kriegen wir damit völlig unauffällig - weil das immer so gemacht wird - zwei Büttel in die Nähe vom Finger. Und wenn dann anhand der Beschreibung jemand diesen Gustlfinger erkennt, umso besser. Wenn nicht, dann findet halt Euer Zwerg den Steckbrief und erkennt den Schurken. Will es ihm jemand verdenken, wenn er sich rasch ein paar Dukaten verdienen will? Dann ist es letztlich egal, wer den Gustlfinger fasst und zur Garde bringt. Vielleicht musst Du gar nicht selbst eingreifen, Haldana. Wäre ja schade, wenn Du Deine Laute jemandem über den Schädel ziehen müsstest.“ Jodokus warf der Bänkelspielerin ein Lächeln zu.
Diese erwiderte ein eher frostiges Lächeln. Was ihre Lautengitarre anbelangt, verstand Haldana keine Spaß „Verlass Dich darauf, Hopfenkrämer, ich kann mich wehren“ antwortete sie wenig respektvoll. „Egal, wer mir zu nahe kommt.“
„Das hört sich endlich mal nach einem Plan an“ bestätigte Alrik, bevor Haldanas Äußerung dem jungen Baernfarn die Laune verderben konnte. „So machen wir es. Aber vorher werde ich noch mal einen Griff ins Pech wagen. Damit ich Hesindian eine Probe von diesen Morfunellos mitbringen kann. Soll er mal untersuchen, was da magisch dahinter steckt, damit wir mehr wissen. Danach solltest Du aber die Fässer verbrennen, Jodokus. Das Pech auch, bevor noch etwas damit passiert.“
„Ich kümmere mich darum. Gleich nachdem ich Irmelinde zur Garde geschickt und Meister Krummbacher instruiert habe. Ab der siebten Abendstunde werden die Büttel dann Steckbriefe vom Gustlfinger aufhängen. Einen Viertel Glockenschlag nach der Achten Stunde werden die Büttel den Anschlag beim Phexfinger anbringen. Dann habt ihr freie Hand mit diesem Langfinger. Meine Gemahlin wird dafür sorgen, dass zwei tüchtige und loyale Waffenknechte im Katzloch unterwegs sind.“