Schratenwald
Der Schratenwald ist weitgehend unerschlossener wilder Wald im westen der Baronie Friedwang, der auch ins Zweimühlener Land und die Baronie Gallys ragt. Er geht weiter gen Efferd nahtlos in den Wutzenwald und im Norden in den Drachenwald über. Im Süden, Baronie Gallys, wird er auch schwarzer Wald geheißen. Der Name Scratus meint im Bosparano ursprünglich wohl einfach Waldgeist, Schratenwald soviel wie Geisterwald. Einst ein Teil des mächtigen mittelaventurischen Urwalds, teilt der Schratenwald viel von dem schlechten Ruf seines "berühmten Vetters", dem garethischen Reichsforst. Uralte Steineichen knarren hier, feuchtes Schratmoos streicht durch das Gesicht des einsamen Wanderers, bizarre Schieferformationen, Sumpflöcher und Tobel erschweren neben Wurzeln, Ranken und Dickicht das Fortkommen; auch im Hochsommer wallt hier morgens und abends oft dichter Nebel.
"Verflucht" soll er sein, der Schwarze Wald wie er auch genannt wird - und die Zauberer wissen, dass "widir arc", der elfische Name des Erzdämonen widharcal eben dies bedeutet "schwarzer Wald". Anders als bei seinen "Namensvettern" in Tobrien halten sich Dämonenmanifestationen und die Pervertierung der Natur hier allerdings in Grenzen - auch wenn Anhänger des Schänders der Elemente in der Vergangenheit mehrmals versucht haben sollen, dies zu ändern. "Verwunschen" ist der Wald auf jeden Fall. Der Karnmann geht hier um und haust in der Irminsumûl, einer hohlen Eiche, die tausend Jahre alt sein mag oder älter. Ein alter Waldschrat späht tief im Inneren des Waldes nach denen, die sich an seinen Bäumen zu vergreifen wagen. Die silberrückige Waldlöwin vom Schratenwald reißt gelegentlich im Dorf Schneiß oder in Kunibaldshofen ein Schaf oder eine Ziege. An den Namenlosen Tagen soll im grauen Dunst noch das Bellen des "Hunds vom Schratenwald zu hören sein - als Wiederhall aus den Niederhöllen, in die der Inquisitionsrat Parinor Rukus von Oppstein die Bestie geworfen hat.
Manch Weg führt einen hier zu von grünen Wasserlinsen bedeckten Tümpeln, Bächlein, die auf keiner Karte verzeichnet sind, in Felsspalten, tannichtes Unterholz, auf mit Hexenpilzen bestandene Lichtungen zu archaischen Kultstätten - oder geradewegs in die Feenwelt. Der majestätische eiskalte Waldensee, ein Gewässer von mehreren Meilen Durchmesser, war früher Heimat eines Auelfenstammes; aber deren Dorf Loskarn wurde 1020 BF durch Schergen des Barons Gernot von Friedwang-Glimmerdieck niedergebrannt. Nach dem Krieg haben sich im heutigen Kunibaldshofen Waldbauern aus dem Osten angesiedelt; die letzte Zählung ergab eine Bevölkerung von 60 Seelen. Heute mögen es bereits deutlich mehr sein.
Die Wasserburg Loskarnossa, dreieinhalb Meilen weiter Firunwärts durch eine Brücke mit dem Festland verbunden, ist in der ganzen Baronie Friedwang als Spukschloss verschrieen. Der Vogt Tiro von Friedwang-Glimmerdieck-Havensgaard wird sowohl bewundert als auch ein wenig eigen angesehen. Das Schloß gehört seit 1021 BF hochoffiziell dem Bund der Schwarzen Sichel. Über ein fallgattergesichertes Wassertor kann man auch vom See her in die Burg gelangen - eine Erinnerung daran, dass die heute so trutzig-abweisende blutblattüberwucherte Anlage in der späten Eslamidenzeit vor allem dem Vergnügen der friedwanger Barone gedient hat, die von hier aus zu Bootsausflügen auf den See aufgebrochen sind. Dessen in Ufernähe von grünen Wasserlinsen, Binsen, Schilf und Seerosen bedeckte Oberfläche hat aber auch etwas sehr Romantisches an sich - gäbe es da nicht den einen oder anderen Zwergkrakenmolch in seinen kühlen Tiefen.
Das Gut Loskarnossa erstreckt sich auf das Gebiet um das Dörfchen Kunibaldshofen - auf der Karte noch unter seinem alten Namen Loskarn eingezeichnet. Das von Tiro verwaltete Gebiet umfasst den gesamten Waldensee sowie dessen Ostufer bis einschließlich der Hügelkette im Nordwesten, dem "schwarzen Jargel" gen Süden und dem "weißen Jargel" im Südosten. Der westlich gelegene schwarze Jargel verdankt seinem Namen den Umstand, dass er ein ruhiges, trübes, von bäumen beschattetes Gewässer ist, während der weiße Jargel im Osten recht schnell und über zahlreiche Steine schäumend dahinfließt. Das westliche Seeufer ist im Grunde Niemandsland. Irgendwo da drüben zwischen den legionen knorriger baumriesen beginnt die Baronie Wutzenwald - wo genau wissen die götter.
Im Umkreis der Loskarner Höhen, die den See im Norden begrenzen und einen guten Überblick über den Schratenwald erlauben, wird heute verstärkt Holzfällerei betrieben. Die gefällten Stämme gelangen über eine hölzerne Rutsche zum Waldensee, werden dort zu Flößen zusammen gebunden und nach Kunibaldshofen verschifft. Dort bringt man sie mit Karren zur Sägemühle am Jargel unweit Nordenheim. Langsam aber sicher kehrt damit so etwas wie Zivilisation in die einst so verrufene gegend am Waldensee ein. Jenseits der Loskarner Höhen wagt sich allerdings kein Holzknecht, Jäger oder Waldbauer in das ewige sattgrüne Halbdunkel des Waldes hinein. In letzter Zeit wurden dort wieder verstärkt die Lagerfeuer herumstreifender Orkbanden gesichtet die man seit dem Krieg gegen die Schwarzpelze eigentlich aus der Baronie vertrieben wähnte. Der Weg zwischen Nordenheim und Loskarnossa gilt heute als einigermaßen sicher. Wo noch vor einigen Jahren Gefahren durch Waldwölfe, Orks, dem bereits erwähnten "Hund vom Schratenwald" oder Wegelagerern drohte. Berüchtigt war die Bande des "Schwarzen Müllers Grome, der unter Umgehung des Mühlenbanns irgendwo am Bach ohne Namen, wie der "schwarze Jargel" sinnigerweise auch genannt wird, zwischen See und Jargel das Korn mahlte und in seiner "Blutmühle" einigen der übelsten Halsabschneidern der Gegend Freistatt bot. Besagte Schwarzmühle wurde unter Baronin Tsalinde zerstört. Mögen sich auch hartnäckig Gerüchte halten dass sie in den Wirren der letzten Jahre stillschweigend wieder aufgebaut wurde. Heute vermengen sich die Sagen über die Schwarze Mühle zunehmend mit Schauermärchen über die Seelenmühle, wie das Sägewerk der Karrers zur Zeit der Schreckensherrschaft genannt wurde. Seit dem Jahr des Feuers steht das Bauwerk am Jargelbogen westlich Nordenheim an einem nebelverhangenen Sumpf, in dem "etwas haust". Ortskundige umgehen den Pfuhl weiträumig - zumindest sollte man vermeiden, etwas in das blubbernde Loch hineinzuwerfen, auch wenn es geradezu dazu einlädt. Was in ihm schlafende Mächte wecken oder gar als Opfergabe dienen könnte.
Die warunker, die das Sägewerk als Vorposten gegen Loskarnossa besetzt gehalten hatten, sollen hier mehrere Gefangene grausig zu Tode gebracht haben. Ans Mühlrad zum Knochenbrechen gebunden, aufgeschlitzt und mit Sägemehl ausgestopft oder bei lebendigen Leib zersägt, wie es in der "schauerlichen Moritat von der Seelenmühle" heißt. "Ritsch-Ratsch, denn die Säge, die hat Zähne hat sie nicht allein zur Zier. Ritsch-Ratsch sägt die Arme sägt die Beene. Ritsch-Ratsch liegen draußen vor der Tür, denn die Säge, die hat Zähne, warte warte nur ein Weilchen, bis Merwans Messer kommt zu Dir.
Da Friedwang auf die Produktion von Baumaterialien angewiesen ist, werden in der Mühle noch immer Baumstämme zu Brettern und Balken weiter verarbeitet. Die Sägemeisterin Traviane Fuxfell und ihre beiden Gehilfen gelten in der Baronie darob als "Knüppelhartes Gespann", denen es einfach vor nichts graut. Was Wunder, hat Traviane doch in der dritten Dämonenschlacht mitgekämpft - und bei einigermaßen klarem Verstand überlebt. Besitzer der Mühle ist übrigens der der Orden des heiligen Golgari in der nahen Rabenmark - was ihren Ruf bei der abergläubischen Bevölkerung nur wenig aufgehellt hat. Gelegentlich wird hier der eine oder andere große Schröter gesichtet - wohl Nachkommen des "Junker Jupp", eines halbzahmen Riesenhirschkäfers, der von den Dreckigen erschlagen wurde. Die "Hirschköppe" gelten als Glücksboten und "Gesandte" des Karnmanns, der bekanntlich ebenfalls ein stattliches Geweih trägt.