Frischer Wind über Gennshof

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Der Weg des jungen Junkers von Gennshof unter die Schwingen Travias, der tiefgreifende Veränderungen bringt.

Orte:

Kloster Sankt Aldec, Baronie Kyndoch, Hzgt. Nordmarken
Junkergut Gennshof, Baronie Mkgrfl. Zwerch

Zeit:
Efferd 1043 BF - Travia 1044 BF

Dramatis Personae:
Wolfrat Helmbrecht von Gugelforst: Junker von Gennshof
Praiadne Racalla von Ochsenwied: ehemals fürstliche Zofe, Wolfrats Mutter und Vögtin
Praida Innocenta von Halberg: Geweihte des Praios im Orden vom Bannstrahl Praios´
Adelhelm Praiowin von Halberg: Ordensritter vom Bannstrahl Praios´ und Abt des Klosters St. Aldec
Linnart vom Traurigen Stein: Ritter und Cellerar vom Bannstrahl Praios´




Dorf Gennshof am Ochsenwasser, Baronie Markgräflich Zwerch, 11. Efferd 1043 BF

Praiadne Racalla von Ochsenwied blickte hinaus auf das Ochsenwasser. Sie stand an einem Fenster ihrer Gemächer im kleinen, aber schmucken Herrenhaus zu Gennshof und strich sich Stoff ihres Kleides zurecht. Wie beinahe jeden Tag war die Edeldame in ein züchtiges, aber schönes Gewand nach Rommilyser Mode gehüllt - gegenwärtig war dies ein hochgeschlossenes Kleid in dunkelblau mit einem Stehkragen. Dazu trug sie als einzigen Zierrat eine hochwertige Brosche, die, so wurde Praiadne nie müde zu betonen, ein Geschenk der letzten darpatischen Fürstin Irmegunde gewesen war, der sie bis zu ihrem Ableben über lange Jahre als Zofe diente. Auch heute noch war die Ochsenwiederin eine ansehnliche Frau: zierlich, gepflegt und stets aufwendig frisiert, jedoch stets auf ein züchtiges Äußeres bedacht.

Der Blick auf ihren Sekretär ließ sie seufzen. Es lag dort ein im Grunde genommen erfreuliches Schreiben aus den fernen Nordmarken. Wie es schien hatten ihre Bemühungen Erfolg gehabt - richtig freuen konnte sie sich darüber jedoch noch nicht. Ihr Sohn Wolfrat war beizeiten etwas störrisch und es dürfte ihr bestimmt einiges an Überzeugungskraft kosten ihm die Sache schmackhaft zu machen. Eine etwas suboptimale Situation, würde ein ´nein´ ihres Sohnes doch dazu führen, dass sie gegenüber einem Würdenträger des Götterfürsten wortbrüchig würde. Praiadne verdrängte den Gedanken daran, straffte sich und griff nach dem Schreiben, dann machte sie sich auf dem Weg hinunter.


***


Wolfrat von Gugelforst saß auf einer Bank nahe dem Gutshaus und genoss den Anblick auf das funkelnde Ochsenwasser und die sich in der Ferne erhebenden Trollzacken. Seine Mutter erzählte ihm als kleiner Junge öfters, dass der See deswegen besonders funkelte, wenn das Licht des Praiosmales darauf schien, weil sich unter Wasseroberfläche unzählige Schätze befanden, die von den Nixen des Sees behütet werden. Er lächelte beim Gedanken daran.

Das Knurren, gefolgt von einem bittenden Winseln vor ihm zerriss die idyllische Ruhe. Aus hellbraunen Augen musterte ihn sein Wehrheimer Rüde Balto. In seiner Schnauze hielt dieser sein liebstes Spielzeug - ein Stück Hanfseil. “Na Großer, ist dir langweilig?” Wolfrat wusste was das Tier von ihm verlangte, griff nach dem Ende des kurzen Seilstücks und zog daran. Ein kurzes Kräftemessen entbrannte und der Gugelforster musste sich eingestehen, dass der heranwachsende Hund immer stärker und stärker wurde.

Von einen auf den anderen Moment jedoch hielt Balto inne und setzte sich aufmerksam und brav vor seinen Herrn. Wolfrat wusste was dies zu bedeuten hatte. Ehrerbietend erhob er sich von der Bank und noch bevor er sich umwandte, grüßte er den Neuankömmling: “Mutter, was für eine Freude.” Ihr ernstes Gesicht und der Brief in ihren Händen alarmierten ihn.

“Hallo Wolfrat … was für eine Überraschung dich hier in deinem Lehen anzutreffen …”, Praiadnes Stimme konnte einen vorwurfsvollen Unterton nicht verhehlen, “... aber es trifft sich gut. Ich habe Neuigkeiten, die ich mit dir besprechen möchte.”

“So?”, fragte der Junker lauernd.

“Ja genau …”, sie wedelte mit dem Papier in ihrer Hand, “... eine Einladung in die Nordmarken.”

“Was soll ich dort?” Neben Skepsis schwang nun auch Unwillen in seiner Stimme mit. “Es gibt nichts was mich dort hinbringen würde.”

“Tstststs …”, kam es daraufhin amüsiert aus Praiadnes Mund, “... und das von einem Mann, der vor Kurzem um die Hand einer Nordmärkerin freien wollte.”

“Mutter … bitte …”, fuhr der Sohn ihr dazwischen und machte ein bitteres Gesicht.

“Na ist doch wahr”, ein schmales Lächeln huschte der Ochsenwiednerin über ihren Mund. Jetzt hatte sie ihn da wo sie ihn haben wollte. Es amüsierte sie, dass die Erinnerung an die Abweisung der Rommilyser Stadtvögtin schon genug war, dass ihr Sohn seine Deckung fallen ließ. “Die achtbare Dame war so angetan von deiner Werbung, dass sie persönlich den Kontakt zu ihrer Cousine herstellte.”

“Ihre Cousine?” Wolfrat schob seine Augenbrauen zusammen. “Und die soll ich jetzt besuchen?”

“Ja, es ist alles vorbereitet.”

Der Junker atmete tief durch. “Und ich bin warum der Letzte, der davon erfährt?” Er schüttelte sein Haupt. “Mutter, ich weiß um meine Verpflichtungen. Ich werde den Bund schließen und für Nachkommen sorgen, doch … ich sollte schon auch ein Wort mitreden dürfen, meinst du nicht?”

Die Frau war an ihren deutlich größer gewachsenen Sohn herangetreten und strich ihm sanft über seine Wange. “Aber das tust du doch. Deshalb die Einladung.” Praiadne trat wieder einen Schritt zurück. “Sie wäre eine gute Wahl … jung, fromm und aus einem ehemaligen Baronsgeschlecht.”

Es half nicht wirklich Wolfrats Skepsis zu vertreiben. “Und weiß die junge Dame schon von ihrem Glück? Wo soll ich sie denn treffen?”

“Im Bannstrahler-Kloster St. Aldec in Kyndoch”, kam es zur Antwort.

“Bannstrahler?” Die Augenbrauen des Gugelforsters schossen nach oben. “Was macht sie denn dort?”

Praiadne lächelte und winkte mit ihrer Hand ab. “Ihren Dienst verrichten, nehme ich an. Ihr Vater ist der Abt und Praida selbst ist Feldkaplanin.”

Worte, die den Gugelforster auflachen ließen. “Eine geweihte Bannstrahlerin als Braut? Mutter, du weißt wie sehr ich den Gleißenden achte, aber denkst du wirklich, dass sie die richtige Wahl wäre um unseren familiären Fortbestand zu sichern? Soll ich mich dem Orden verpflichten und in die Nordmarken ziehen? Möchtest du deinen Sohn loswerden?”

Seine Mutter verzog auf diese Fragen hin ihr Antlitz zu einer säuerlichen Grimasse. “Schluss mit der Narretei. Das ist alles mit ihrem Vater besprochen. Praida würde in die Ordensniederlassung nach Rommilys wechseln. Du, mein Sohn, bist ja sowieso öfters im Stadthaus als hier auf dem Gut.”

Wolfrat starrte Praiadne in ihre Augen. “Gut, da du in meinem Namen wohl schon zugesagt hast bleibt mir nichts anderes über als mich deinem Wunsch zu beugen und in die Nordmarken zu reisen.” Der Blick des Ritters ging hinaus auf den See, lag dann auf seinem Hund und schloss seine Runde am braunen Augenpaar seiner Mutter ab. “Aber ich kann nichts versprechen. Die Dame wird zustimmen müssen ... ohne dazu gedrängt zu werden. Sie ist es schließlich, die aus ihrem Umfeld gerissen wird und für die sich alles ändert. Das ist meine einzige Bedingung.”

Zufrieden mit sich und dem Dererund nickte die ehemalige fürstliche Zofe ihrem Sohn zu. Er hatte ein gutes Herz, genauso wie sein Vater. Praida von Halberg war eine ausgezeichnete Wahl. Eine Frau aus einer hier in der Mark angesehenen Familie und noch dazu beruflich gebunden. Nein, sie würde keine Gelegenheit haben einen Keil zwischen sie und ihren Sohn zu treiben. Sie würde nicht hier auf dem Gut leben und auch die Erziehung ihrer Kinder würde sie nicht selbst überwachen können. Das Lächeln der Frau wurde nun noch etwas breiter…


 

Kloster St. Aldec, Baronie Kyndoch, 2. Travia 1043 BF

Als Linnart vom Traurigen Stein aus dem Arbeitszimmer des Abten St. Aldecs trat, lief er beinahe eine vor der Tür wartende junge Dame hinein. Diese war recht klein gewachsen, hatte schulterlanges, wild sprießendes dunkelblondes Haar und war in ein hübsches, doch züchtiges weißes Kleid gewandet, das mit goldenen Greifen- und Sonnenstickereien verziert war.

“Praida …”, fragte der Ritter, ob des sich bietenden Anblicks verblüfft, “... was tust du denn hier auf St. Aldec? Und noch dazu in dieser Aufmachung.”

Dem Antlitz der Angesprochenen war der Unmut über ihren Aufzug deutlich im Gesicht abzulesen. “Ins Kloster führt mich ein Auftrag des Ordens. Morgen muss ich gen Herzogenfurt aufbrechen." Sie strich über den Stoff. "Was das hier angeht … Vater will mich sehen …”, meinte sie mit mangelnder Begeisterung, “... hat nach mir schicken lassen und gemeint ich solle mich …”, Praida schnaubte, “... so anziehen.”

“Es steht dir”, bemerkte der Traurigsteiner daraufhin anerkennend.

“Unsinn …”, gab die junge Geweihte empört zurück, “... ich sehe jämmerlich aus. Wie eine Hofdame oder Zierrat an der Seite eines Mannes”, kurz stoppte sie und blickte eindringlich in die Augen ihres Ordensbruders, “Glückwunsch übrigens zu deiner Verlobung … sie soll ja sehr … ansehnlich sein.” Praida zwang sich zu einem Lächeln. Ansehnlich, teuer und schwierig … Linnarts Geschmack war bei Schmuck und Frauen derselbe, das war hier im Kloster ein offenes Geheimnis. Insgeheim empfand sie die Affinität hin zu solchen Oberflächlichkeiten als eine verachtenswerte Schwäche, doch konnte man von einem Abkömmling der Sippe vom Traurigen Stein auch nichts anderes erwarten. Der neu bestellte Cellerar - immerhin ihr Neffe zweiten Grades, obwohl sie selbst einen Sommer weniger zählte als er - war dennoch ein fähiger Ordensritter mit unbeflecktem Leumund und das hatte sie genauso anzuerkennen.

“Ja ähm, danke …”, meinte Linnart knapp, “... dann halte ich dich nicht länger auf. Seine Hochwürden sollte man nicht unnötig warten lassen.” Er lächelte der jungen Geweihten charmant zu. ´Vor allem wenn der alte Luchs bestimmt ihre Stimmen vor seiner Tür hören konnte´, setzte der Ritter in Gedanken hinzu. “Lux triumphat”, mit diesen Worten verabschiedete er sich von der Lichtbringerin, wiewohl sein Blick dabei länger als normal auf ihr zu ruhen schien.


***


Adelhelm von Halberg saß an seinem Sekretär und sortierte eine Hand voll Dokumente als er sich seiner Tochter gewahr wurde, die respektvoll wartete bis er sie mit einer einfachen Handgeste zum Eintreten aufforderte. “Komm herein.”

“Du wolltest mich sehen, Vater? Oder habt Ihr mich als Angehörige des Ordens rufen lasse, Hochwürden?” Das Gesicht der jungen Frau war ebenmäßig und ausdruckslos wie eine Statue. Eine Eigenschaft, die sie von Zeit zu Zeit bedrohlich wirken ließ und bei nicht wenigen Menschen eine Gänsehaut hervorzurufen vermochte.

Über die Lippen des Abten huschte ein Lächeln. Er deutete auf einen freien Stuhl. “Nimm Platz.”

Praida tat wie ihr geheißen ward. Ihr aufmerksamer Blick lag auf ihrem Vater. Der alternde Ordensritter strahlte mit einer Selbstverständlichkeit Autorität aus, die die junge Frau schon immer bewundert hatte und selbst innerhalb der Kirche des Gleißenden keine Alltäglichkeit war. In den Hochadel geboren lag es Adelhelm im Blut Verantwortung zu übernehmen, zu leiten und zu führen. “Geht es um Herzogenfurt?”, fragte sie nach Momenten des Schweigens zögerlich.

“Auch …”, kam es kryptisch zur Antwort. Der Abt schenkte Wein in zwei Kelche und reichte einen davon seiner Tochter, die diesen jedoch unberührt stehen ließ, “... kein Alkohol im Dienst … vorbildlich.” Er schmunzelte. “Doch du kannst unbesorgt sein, Praida. Hier spricht ein Vater zu seiner Tochter und kein Abt zu einer seiner Ritterinnen.”

“Na dann, Salute”, die junge Geweihte atmete durch und nahm einen Schluck vom ausgezeichneten Wein. “Möchtest du mich jetzt über den Grund dieses Treffens aufklären?” Sie blickte an sich herab. “Und dann vielleicht auch gleich warum ich mich in diesen Fummel kleiden musste, während du deinen Ornat trägst?”

“Du kannst dich noch an unser letztes Treffen vor ein paar Monden erinnern? Nach deiner Weihe und vor deinem Dienstantritt in Elenvina?” Der Bannstrahler hob seine Augenbrauen.

Die Angesprochene nickte fest. “Natürlich. Die Sache mit der dem Heiraten … du weißt genau, dass meine Aufgaben im Orden dies nicht zulassen, Vater. Ich habe dem Herrn mein Leben geweiht … die Gemeinschaft des Lichts ist meine Familie. Ein Mann und Kinder würden mich nur erpressbar und schwach machen. Am besten diene ich dem Herrn, wenn er alleine es ist für den ich lebe.”

Das nun erscheinende Lächeln auf den Lippen des Vaters trug eine Mischung aus Stolz und Belustigung in sich. “Hältst du mich für schwach, Praida? Oder deine Mutter? Praios habe sie selig.”

Sie senkte ihr Haupt und schüttelte leicht ihren Kopf.

“Ich bewundere deinen Eifer, Tochter … und bis zu einem gewissen Grad hast du auch recht. Es mag nämlich nicht wenige in unserer Gemeinschaft geben, die ihre Prioritäten falsch setzen würden und die eine eigene Familie vielleicht wirklich erpressbar und schwach machen würde.” Adelhelm lächelte und prostete der jungen Bannstrahlerin zu. “Du bist jedoch eine der Wenigen, bei der ich mir dahingehend nie Sorgen machen würde …”, er nahm einen Schluck, “... dass du alleine um diese Gefahr weißt, zeigt mir, dass du bereit dafür bist.”

“Bereit für …”

“Den Traviabund …”, fiel ihr Adelhelm ins Wort, “... denn dir ist bewusst, dass wir als Adelige auch dynastische Pflichten haben, auch wenn der Dienst und die Liebe gegenüber Praios´ stets an erster Stelle stehen werden. Du entstammst einem uralten Adelshaus mit einer langen, stolzen Tradition und einer tragischen jüngeren Vergangenheit. Es ist auch an dir und deinem Bruder der Familie wieder auf die Beine zu helfen und das geht besonders gut durch einen Bund mit einer anderen … gegenwärtig höher geachteten Familie.”

“Und wen hast du im Sinn?” Praida war ihrem Vater gegenüber vollkommen loyal. Eine Äußerung des Unwillens wäre ihr hier nie über die Lippen gekommen. Das wusste auch Adelhelm.

Auf dessen Lippen sich abermals ein feines Lächeln abzeichnete. “Wann warst du das letzte Mal in Rommilys?”

“Rommilys?” Nun wanderte eine der Augenbrauen der jungen Frau nach oben.

“Deine Cousine Linai hat uns einen jungen Mann wärmstens anempfohlen. Er hatte um sie geworben und trotz ihrer Abweisung doch auch irgendwie beeindruckt. Ein Junker aus junger, aber hochadeliger Familie.” Adelhelm kramte einen Moment lang in den Pergamenten vor ihm auf dem Tisch. “Gugelforst …”, ergänzte er dann, “... erst vor 200 Götterläufen in den Adelsstand erhoben, doch schon seit 100 Götterläufen die Erbvögte von Kaiserlich Gugelforst in der Rabenmark und Barone von Weidenhag im Herzogtum Weiden. Ausgezeichneter Leumund und seit jeher eine enge Bindung zur Kirche der Travia. Das Gut des Werbers befindet sich firunwärts von Rommilys am Ufer des Ochsenwassers in der Baronie Zwerch.”

“Und was erwartet er sich durch den Bund?”, fragte Praida nüchtern. “Ein gefallenes und entlehntes nordmärker Baronshaus scheint mir nicht wirklich attraktiv.”

Ihr Vater hob abwehrend seine Hand. “Du vergisst, dass deine Cousine als Stadtvögtin im Romilyser Rat sitzt und eng mit der Markgräfin befreundet ist. Das was für uns hier in den Nordmarken gelten mag, muss ja nicht reichsweit Gültigkeit besitzen. Sie sind sogar damit einverstanden die Nachkommen des Bundes in gleichen Teilen beiden Häusern zuzurechnen, wobei die Gugelforster in der Erbfolge natürlich ein Vorrecht besitzen.”

“Und mein Dienst in Elenvina?”, kam es weiterhin gefasst aus dem Mund der Geweihten.

“Deinen Dienst wirst du zukünftig in Rommilys am Greifenberg verrichten. Der Orden hat dort Bedarf für eine Feldkaplanin und deine zukünftige Familie besitzt ein Stadthaus, aber das hat noch etwas Zeit. Erst besteht die Seite des Werbers auf eine Verlobungszeit von 12 Monden. Euch stehen in dieser Zeit zwei Treffen zu um die Hochzeit und andere Formalitäten zu besprechen. Eines davon wird im Übrigen heute sein.”

“Heute?”, warf Praida ein und der Heller schien nun gefallen. “Deshalb der Fetzen?”

Ihr Vater nickte, musste ob der Bezeichnung ´Fetzen´ gar schmunzeln. “Ja, er ist hier im Kloster mein Gast und wir werden gemeinsam mit ihm zu Abend essen. Ein netter junger Mann, er wird dir bestimmt zusagen.”

Die Geweihte verzog ihr Gesicht als hätte sie gerade eine Handvoll Sauerampfer im Mund, nickte aber gehorsam. “Du willst mich ihm also vorführen?”

“Mach dich nicht lächerlich, Tochter. Sieh es als Vorgeschmack auf das was dir in Herzogenfurt auf der Hochzeit der Baronin blühen wird. Du wolltest dort ja nicht im Kettenhemd und mit gegürtetem Langschwert aufkreuzen?” Er lachte.

“Nun ja …”, die junge Frau wog ihren Kopf hin und her, “... gut, wenn es denn sein muss.” Innerlich seufzend erhob sie sich aus ihrem Stuhl und strich sich ihr Kleid zurecht. “Können wir dann?” Die Worte ihres Vaters waren Gesetz und ob die junge Bannstrahlerin nun wollte oder nicht, sie musste ihm gehorchen.

“Gehen wir”, zufrieden lächelnd erhob sich auch der Abt und verließ gemeinsam mit seiner Tochter das Arbeitszimmer.

 


 

Dorf Gennshof am Ochsenwasser, Baronie Markgräflich Zwerch, 12. Travia 1044 BF

Die junge Frau im reinweißen Kleid, welches kunstvoll mit goldenen Borten bestickt war und an der Taille von einem ebenfalls goldenem Gürtel gerafft war, stand nun schon ein geschlagenes am Ufer des, im Licht des Praiosmales funkelnden, Ochsenwassers. Sie bewunderte die Ruhe, die dieser Ort auszustrahlen vermochte und auch den ansehnlichen Kontrast zu den düsteren Trollzacken, die sich rahjawärts in weiter Ferne erhoben und die lieblichen Lande um das Ochsenwasser von der geschundenen Rabenmark trennten.

Es würde dies Praidas neue Heimat werden. Ein Gedanke, an den sich die junge Geweihte des Götterfürsten noch würde gewöhnen müssen. Zwar wurde die Feldkaplanin des Ordens vom Bannstrahl Praios´ im damals belagerten Beilunk geboren und lebte die ersten zehn Sommer ihres Lebens in der Perle im Randromtal, aber dennoch war ihr diese Gegend fremd gewesen. Sie war Elenvina gewohnt, lebte und diente in der Wehrhalle des Praios, hatte dort Freunde und auch das bisschen Familie, das ihr noch geblieben war. Hier jedoch, die Halbergerin stieß ein leises Seufzen aus, fand sie nichts dergleichen. Ein Dorf, in dem es nach Rindern roch, an einem zugegeben schönen See ... und einen zukünftigen Ehemann, der ihr fremd war und mit dem sie in erster Linie die Pflicht und Erwartungshaltung ihrer beider Familien verband.

Schwere Schritte, untermalt vom Klirren eines Kettenhemdes, rissen die junge Lichtträgerin aus ihren Gedanken. “Wenn deine Mutter dich nur so sehen könnte”, ertönte eine Stimme, die Praida wohlbekannt war.

“Hochwürden”, sie nickte dem Neuankömmling grüßend zu. Der ältere Mann war in seine Ordenstracht gekleidet - ein weißer Wappenrock über einem vergoldeten Kettenhemd und einen ebenso reinweißem Mantel - und machte, trotz offensichtlich fortgeschrittenem Alter, einen sehr rüstigen und agilen Eindruck. Er war mittelgroß gewachsen und immer noch von athletischer Satur.

“Bitte”, der Angesprochene winkte gönnerhaft lächelnd ab. “Du bist nicht im Dienst, Tochter. Heute bin ich nur dein Vater.” Adelhelm von Halberg, Hochgeweihter vom Orden des Bannstrahl Praios´ und Abt des Klosters Sankt Aldec, war näher an Praida herangetreten. “Ein Vater, der Gleißende möge mir verzeihen, voll Stolz über seine wohlgeratene Tochter. Deine Mutter wäre ebenfalls sehr stolz auf dich, Liebes.”

Der jungen Geweihten fiel es schwer den Blick ihres Vaters zu halten. “Hab Dank, Vater”, flüsterte sie. “Es bedeutet mir viel, dass du den Segen spenden wirst.”

Adelhelm entgegnete ihr ein väterliches Lächeln. “Das war mir ein besonderes Anliegen, Praida.” Dann wandte er sich um. Sein Blick lag auf erst auf dem See, dann auf dem ansehnlichen Herrenhaus, welches auf einer kleinen Insel im See lag und über eine steinerne Brücke erreicht werden konnte, auf welcher dann später auch die Trauung stattfinden würde.  “Hast du dich schon etwas vertraut mit deinem zukünftigen Heim gemacht?”, fragte der Hochgeweihte dann.

“Ja, so gut es eben ging”, Praida ließ abermals ihren Blick sinken, was Adelhelm nicht sehen konnte, da seine Aufmerksamkeit immer noch auf der Brücke lag - oder besser, auf der Person, die diese gerade überquerte.

“Deine Schwiegermutter …”, schien der Halberger Abt nun das Thema zu wechseln, “... was hältst du von ihr?”

Da ihr Vater seinen Blick immer noch auf der Brücke hielt, bemerkte er das kaum zu vernehmende Augenrollen seiner Tochter nicht. “Ich denke, dass sie mich unterschätzt”, sagte Praida wahrheitsgemäß, was Adelhelm nun dazu brachte, seine Aufmerksamkeit wieder seiner Tochter zu schenken.

“So?”, er zog eine Augenbraue hoch. “Wie kommst du darauf?”

“Nun ja”, die Jüngere zog ihre Stirn kraus. “Ich denke, dass sie hier ganz gerne weiterhin das Zepter in der Hand halten würde und es ihr nicht ungelegen kommt, dass ich meinen Dienst in Rommilys verrichte und nicht hier am Gut.”

Adelhelm wusste um die ausgezeichnete Auffassungsgabe seiner Tochter und zog ihre Worte nicht in Zweifel. “Soll ich mit ihr sprechen? Es ist wichtig, dass sie ihren Platz kennt.”

“Nein”, Praida ließ auf diese Frage hin sogleich ein Kopfschütteln folgen. “Das wird meine Aufgabe sein … und die meines Gemahls.”

Der Hochgeweihte nickte bestätigend. “Du bist also bereit für den Bund?”, fragte er dann in etwas väterlicherem Ton, was seiner Tochter eine hochgezogene Augenbraue abrang. Diese Frage hätte er ihr vor der Verlobung stellen sollen.

“Es ist meine Pflicht, Vater”, kam es folgsam aus Praidas Mund. “Ich denke, dass Wolfrat ein guter Mann ist. Alles andere wird sich fügen.”

“Das freut mich zu hören, Liebes”, Adelhelm nahm seine Tochter in den Arm. Irgendetwas schien er bei der Erziehung seiner Kinder ja doch richtig gemacht zu haben.

 


 

Im Herrenhaus, ein paar Momente später

“Ich bin noch nicht so weit!”, blaffte der latent genervte junge Mann in die Richtung der Tür, von wo er soeben ein Klopfen vernommen hatte. ´Götter, nicht einmal jetzt konnte er für einen Moment ungestört sein´, dachte der groß gewachsene Ritter bei sich.

Abermals folgte ein Klopfen, nun deutlicher vernehmbar. “Götter, ja!” Nicht lange nach seiner schlussendlichen Einverständnis öffnete sich die schwere Holztür. Herein schritt eine würdevoll gealterte, schlanke Frau in einem schönen, hochgeschlossenen und dunkelroten Kleid. Sie war aufwendig frisiert und trug an ihrem Kragen eine schöne Brosche. Praiadne Racalla von Ochsenwied war einst die Zofe der letzten darpatischen Fürstin Irmegunde gewesen und hatte es bis zum heutigen Tag nicht verlernt sich bestmöglich zu präsentieren.

“Was willst du hier?”, kommentierte Junker Wolfrat von Gugelforst das Auftauchen seiner Mutter. Anders als der Neuankömmling, war der Gutsherr noch nicht fertig adjustiert und durchmaß seine Gemächer mit bloßem Oberkörper, wohl auf der Suche nach seinem Oberteil.

“Du bist noch nicht so weit”, es war eher eine Feststellung, denn Frage aus dem Mund der Ochsenwiederin, was ihren Sohn deutlich aufseufzen ließ.

“Das habe ich doch gerade eben gesagt.” Der Junker von Gennshof war eine beeindruckende Gestalt: sein beinahe 2 Schritt großer Körper war durch regelmäßige Waffenübungen athletisch und er trug sein dunkelblondes Haupt- und Barthaar stets sorgsam gestutzt und gepflegt. Für gewöhnlich blickten seine milden braunen Augen freundlich in die Welt. Nicht so heute - an seinem Hochzeitstag wirkte der Mann so als würden sich jeden Moment zwei Kugelblitze daraus lösen und jeden zu Staub verwandeln, der ihm krumm kam.

Praiadne jedoch ließ sich von dem unbeherrschten Gebaren seines Sohnes nicht einschüchtern. Kühl musterte sie ihn und wies dann auf die Schlafstatt. “Das dunkelblaue … und jetzt krieg dich wieder ein.” In der Stimme der Mutter schwang von einen auf den anderen Moment eine Bedrohlichkeit mit, die man der zierlichen Frau so gar nicht zugetraut hätte. “Es sind heute zu viele wichtige Leute da, als dass ich es dir durchgehen lassen kann, dass du dich wie ein bockiges Kind benimmst.”

Worte, die den Junker schnauben ließen. “Hättest vielleicht daran denken sollen, bevor du mich ohne Rücksprache versprochen hast.”

Der Blick seiner Mutter glich sich nun ihrer Stimme an und wäre Wolfrat nicht bereits so sehr in Fahrt gewesen, es hätte ihm das Blut in den Adern gefrieren lassen. “Du hast zugestimmt”, entgegnete Praiadne lauernd.

“Ja …”, doch setzten die Überlebensinstinkte des Gugelforsters immer noch nicht ein, weshalb er weiterhin gedankenlos mit unbedachten Worten um sich warf, “... nachdem du in meinem Namen schon bei ihrem Vater vorgesprochen hast und die Sache bereits in trockenen Tüchern war. Ich war damals im Kloster, ich weiß was du ihm versprochen hast.”

“Hüte deine Zunge, Sohn”, grollte schmale Hofdame. “Ich werde nicht zögern, dich hier und jetzt übers Knie zu legen … oder dann später vor deiner Ehefrau und den versammelten Gästen.” Erst jetzt manifestierten sich rötliche Flecken auf Praiadnes Wangen - ein Ausdruck ihres Zorns. “Reiz mich also nicht länger.”

Wolfrat ließ sie stehen, ging zu seinem Bett und schlüpfte dann wortlos in sein Wams. “Ich weiß genau, dass du etwas vorhast, Mutter. Ich kann es noch nicht wirklich festmachen, aber es hat einen Grund warum es Praida sein sollte. Wenn man dir etwas nicht vorwerfen kann, dann ist es Dummheit und fehlende Planung.” Mit fahrigen Bewegungen strich er sich das edle Kleidungsstück zurecht.

“Alles was ich will …”, Praiadne war an ihren Sohn herangetreten und richtete ihm den Kragen, “... ist, dass meine Kinder glücklich sind. Du bist doch sowieso lieber im Stadthaus in Rommilys … und deine Frau wird dort ebenfalls ihren Dienst verrichten, hm?” Die Stimme der Hofdame war nun wieder zuckersüß. “Dann habt ihr Zeit für euch und die Familienplanung.”

Die Augenbrauen des Junkers wanderten nach oben. War es das? Wollte sie sicherstellen, dass ihr Sohn auch zukünftig in Rommilys blieb und nicht auf seinem Gut? Ließ sich das mit den ständigen Vorwürfen vereinbaren, dass er so wenig oft hier am Ochsenwasser weilte? War es bloß ein Spiel? “Es hört sich beinahe an, als würdest du uns hier nicht haben wollen”, antwortete Wolfrat gespielt im Scherz - tatsächlich war es ihm ernst gewesen.

“Ach sei nicht albern”, antwortete seine Mutter. “Mach dich lieber fertig. Die Gäste … und deine Braut … warten bereits.”

 


 

Am frühen Morgen, 13. Travia 1044 BF

Die ersten Strahlen des Praiosmales, welche über die Zackenreihe der Trollzacken im Rahja lugten, weckten den Junker von Gennshof aus seinem leichten Schlummer. Der Abend wurde lang und die Nacht kurz. Wiewohl ihm die Trauung aufgezwungen wurde, kam er nicht umhin zuzugeben, dass die Zeremonie etwas in ihm bewegte.

Den Segen spendeten dabei nicht nur die Hochgeweihte des hiesigen Gänsehofs für die Kirche der gütigen Mutter, sondern auch der Vater der Braut für die Gemeinschaft des Lichts. Beides Kulte, welchen Wolfrat die höchste Form der Verehrung entgegen brachte.

Und auch die Gästeschar konnte sich sehen lassen: die Landvögtin von Zwerch, Rangardis von Falkenstein, gab sich hierbei ebenso die Ehre, wie die Stadtvögtin von Rommilys, Linari von Halberg-Kyndoch, die die Werbung des Gugelforsters einst ausschlug und den Bund zu ihrer Cousine Praida gar mit einfädelte. Aus Weiden kam der Baronet von Weidenhag - Wilfred von Gugelforst - in Vertretung seiner Schwester, die durch den Weidener Baronsrat leider verhindert war und aus der Rabenmark selbstverständlich der Reichsvogt von Gugelforst als Oberhaupt der Familie.

Wolfrat streckte seine müden Glieder und bemerkte, dass er alleine im ehelichen Bett lag. Der Ritter rieb sich seine müden Augen, wickelte seinen unbekleideten Körper in ein Leintuch und machte begab sich aus den Gemächern hinunter in die Wohnräume des Herrenhauses. Bedingt durch die frühe Stunde, begegnete er niemand anderem als einer Bediensteten, die ob des Zustandes der Bekleidung des Hausherrn sogleich ihren Blick senkte.

Praida selbst traf der Junker dann auf der rückwärtigen Terrasse in Richtung dem See an. Sie schien in auch nicht mehr als eines seiner Hemden gewandet zu sein, was ob des Unterschieds in der Körpergröße der Beiden wie ein Sommerkleid anmutete.

“Guten Morgen”, Wolfrat grüßte sein Eheweib mit einem Kuss, was diese erst etwas verblüfft innehalten ließ. Erst drei-vier Herzschläge später wich die Verblüffung einem zurückhaltenden Lächeln. “Ich hoffe du hast gut geruht?”

Die junge Geweihte nickte knapp. “Ja, überraschend gut”, wieder folgte ein Lächeln, das jedoch sogleich wieder erstarb. “Ich werde ein paar Monde hier auf dem Gut bleiben, bevor ich meinen Dienst in Rommilys antrete”, setzte Praida dann hinzu, wobei ihr Blick hinaus auf das Ochsenwasser gerichtet war, das unter den Strahlen des Praiosmales zu funkeln begann, wie ein Kleinod. “Und ich erwarte das auch von dir”, die braunen Augen der zierlichen Frau lagen in diesem Moment wieder auf ihrem Mann. “Ich weiß ja, dass es dich sonst wieder nach Rommilys zöge.”

“Ja, natürlich”, Wolfrat schluckte. “Sehr gerne, Mutter wird …”

“... deine Mutter wird nicht hier sein …”, fiel Praida ihm sogleich ins Wort. “Ich habe gestern ein paar Gespräche geführt. Sie wird von nun an den Haushalt im Stadthaus der Familie führen. Dein Familienoberhaupt war ganz angetan von der Idee solch eine repräsentative und mit guten Kontakten ausgestattete Frau wie deine Mutter, nahe dem markgräflichen Hof zu wissen, den sie ja selbst so gut kennt.”

Der Junker wusste in diesem Moment nicht, ob er schockiert sein, oder lauthals loslachen sollte. “Das ist … wie hat sie es denn aufgenommen?”

Praida zuckte kurz mit einer Schulter. “Das kümmert mich nicht. Und dich sollte es auch nicht kümmern. Es wird Zeit, dass ihr jemand die Grenzen aufzeigt … und es wird auch Zeit, dass du … wir … unsere Aufgaben hier auf dem Gut wahrnehmen.”

Hätte Wolfrat gelacht, spätestens jetzt wäre das Lachen wieder erstorben. “Das …”, der Ritter räusperte sich, “... das habe ich mir vorgenommen, ja.”

Das Spiel der Augenbrauen auf dem nicht unhübschen Antlitz der Halbergerin machte ihm klar, dass sein Eheweib ihm das nicht wirklich abnahm. “Dann ist ja gut. Ich möchte auch eine Amme aus den Nordmarken holen, sobald ich schwanger gehe. Eine Zofe wohl auch, die hier nach dem Rechten sieht wenn ich am Greifenberg in Rommilys weile.”

Der Gugelforster ließ die Worte sacken und musterte seine Gemahlin. Ja, seine Mutter tat wahrlich schlecht daran, die junge Praioranerin zu unterschätzen. Nun würde hier wohl ein anderer Wind wehen, doch wäre es eine willkommene Abwechslung, auch wenn Wolfrat zusehen musste, dass ihm die Sache nicht vollends entglitt und er hier zum Beiwagen seiner Frau verkam. Die Wünsche, welche sie eben geäußert hatte, machten jedoch Sinn und er würde ihnen entsprechen. “Das ist für mich in Ordnung”, um den Schein zu wahren, gab er formal seine Zustimmung dazu, wiewohl er nicht das Gefühl hatte, gefragt geworden zu sein.

“Schön, dass wir uns darin einig sind”, nun fand sich abermals ein Lächeln auf den ebenmäßigen Zügen Praidas. Sie rutschte näher an ihn heran und lehnte sich gegen seinen Oberkörper, während Wolfrat seinen Arm um ihre Taille legte. Gemeinsam bewunderten sie die Schönheit des Sonnenaufgangs über dem Ochsenwasser.


-Fin-